Bessere soziale Absicherung und Vereinfachung der interkommunalen Zusammenarbeit - Österreich setzt Empfehlungen des Kongresses um

Statement von Andreas Kiefer im Rahmen der kommunalen Sommergespräche 2011 des österreichischen Gemeindebundes am 29. Juli 2011 in Bad Aussee, Österreich.

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich besonders, heute mit Ihnen wichtige Zukunftsaspekte der kommunalen Selbstverwaltung diskutieren zu können. Und ich freue mich, die aktiven österreichischen Mitglieder des Kongresses der Gemeinden und Regionen hier zu sehen.

Der Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarates mit seinen 318 Mitgliedern aus 47 Mitgliedsstaaten ist der gleichaltrige Bruder des Ausschusses der Regionen der Europäischen Union mit seinen 344 Mitgliedern aus 27 Mitgliedsstaaten. Beide wurden 1994 als Foren der Kommunen und Regionen eingerichtet. Der Kongress ist aber in der Öffentlichkeit das unbekanntere Wesen, wie insgesamt der Europarat nicht so präsent ist, wie die Europäische Union. So ist wahrscheinlich weniger bekannt, dass Österreich von November 2013 bis Mai 2014 den Vorsitz im Ministerkomitee des Europarates führen wird. Vorbereitungen für diese Präsidentschaft werden vom Bund bereits in Zusammenarbeit mit dem Städtebund, dem Gemeindebund und den Ländern getroffen. Dieser Vorsitz wird sicher auch eine starke lokale und regionale Dimension haben.

Hauptaufgaben des Kongresses

Neben der beratenden Funktion für die Regierungen der 47 Mitgliedsstaaten, die im Ministerkomitee des Europarates vertreten sind und neben der Funktion des Kongresses als Sprachrohr der Gemeinden, Städte, Regionen, Kantone, Landkreise, Provinzen, etc. in allen Politikbereichen des Europarates mit einer lokalen und regionalen Dimension, konzentriert auf die Bereiche Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit (wie z.B. Korruptionsbekämpfung) versteht sich der Kongress als Hüter und Verteidiger der kommunalen Demokratie der Mitgliedsstaaten. Dazu gehören:

l die Beobachtung von lokalen und regionalen Wahlen und

l Monitoringberichte über die Einhaltung der Charta der lokalen Selbstverwaltung durch die Mitgliedsstaaten

Aktuelle inhaltliche Projekte des Kongresses sind die Durchführung eines Bürgermeistergipfels über Roma Fragen am 22. September 2011, Einladungen finden Sie auf Ihren Plätzen, sowie die jährlich Mitte Oktober in über 200 Städten durchgeführte europäische Woche der lokalen Demokratie.

Mit der Reform des Europarates im Jahr 2010 und 2011 hat auch der Kongress eine Reform durchgeführt und das Monitoring der Charta und die Beobachtung von Lokal- und Regionalwahlen zum Kernbereich seiner Arbeit gemacht.

Wahlbeobachtungen

Die österreichische Delegation beteiligt sich aktiv an den Wahlbeobachtungsmissionen des Kongresses. Die Leitung der Delegation des Kongresses bei den Kommunalwahlen in der Ukraine im Oktober 2010 wurde von Landtagsvizepräsidentin Gudrun Mosler-Törnström (Salzburg) durchgeführt, Berichterstatter der Kommunalwahlen vom Mai 2011 in Moldova ist Gemeinderat Hannes Weninger (Gießhübl).

Die Ergebnisse dieser Missionen sollen den Mitgliedstaaten helfen, Defizite in der Gesetzgebung und Durchführung von Wahlen abzubauen, aber auch dazu, innovative Lösungen einem breiteren Kreis bekannt zu machen, wie etwa Stimmzettel für Blinde und Sehbehinderte oder Erfahrungen mit e-Voting. Am 12. September 2011 findet in Norwegen dazu ein Versuch in einigen Gemeinden statt. Der Kongress wird sich das anschauen.

Monitoring der Charta der lokalen Selbstverwaltung

Grundlage für das Monitoring der Einhaltung der Gemeindeautonomie ist die  Europäische Charta der lokalen Selbstverwaltung, ein völkerrechtlicher Vertrag, der von 44 der 47 Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert wurde.

Wurden früher 2 bis 3 Staaten pro Jahr besucht, sind es jetzt 10 bis 15 Staaten pro Jahr. Dies führt dazu, dass Herausforderungen, Probleme, Trends, aber auch innovative Lösungen in der lokalen und regionalen Demokratie besser herausgearbeitet und Empfehlungen für die Mitgliedstaaten erarbeitet werden können. Seit vergangenem Jahr besteht eine klare Systematik mit einem Raster der Untersuchungsbereiche, um eine echte Vergleichbarkeit der einzelnen Staaten vornehmen zu können. Auch wurden Kriterien für die Unvereinbarkeit von Berichterstattern eingeführt; so ist ausgeschlossen, dass Kongressmitglieder die Situation in einem Nachbarstaat oder in Staaten, zu denen besondere Beziehungen bestehen, untersuchen. In den nächsten Jahren planen wir, auf der Basis der Erkenntnisse der Monitoringberichte, alle zwei bis drei Jahre Berichte zur Lage der lokalen Demokratie in Europa zu erstellen und Vorschläge für deren Weiterentwicklung zu machen. Ein Vorbild dafür sind die regelmäßigen Berichte der Parlamentarischen Versammlung des Europarates zur Lage der Demokratie in Europa. Der Kongress möchte diese Berichte um die lokale und regionale Dimension ergänzen.

Der Österreich-Bericht

Nach einem Besuch einer Delegation, die Kontakte auf nationaler, Landes- und Gemeindeebene hatte (März 2010) wurden der Bericht und die Empfehlungen im März 2011 vom Plenum angenommen. Es handelt sich um den ersten Bericht über Österreich seit der Ratifizierung der Charta durch Österreich im Jahr 1987. Hervorgehoben wurde der im Vergleich zu anderen Mitgliedstaaten sehr hohe Standard der Gemeindeautonomie und die Umsetzung des Subsidaritätsprinzipes.

Die wesentlichen Vorschläge des Kongresses für Maßnahmen auf Bundes- bzw. auf Landesebene betreffen:

l eine grundlegende Verfassungsreform mit Kompetenzbereinigungen (Basis Österreich-Konvent und neuere Reformvorschläge)

l Vereinfachung der interkommunalen Zusammenarbeit, vor allem über die Ländergrenzen hinweg

l Bessere sozialrechtliche Absicherung der Bürgermeister, um das Amt attraktiv zu erhalten und Kandidatinnen und Kandidaten zu bekommen

l mehr Steuerautonomie für Länder und Gemeinden

l Stärkung des Bundesrates als echte Länderkammer

l völlige Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung und Überführung in die direkte Landesverwaltung

l Stärkung der Rolle von Gemeindebund und Städtebund in den Finanzausgleichsverhandlungen

l Weitergehende Vertragsschlusskompetenz für den österreichischen Gemeindebund und den österreichischen Städtebund über den Stabilitätspakt und den Konsultationsmechanismus heraus

l Einschränkung der persönlichen Haftung der Bürgermeister

l Erhöhung des Anteils von Frauen in den Gemeindevertretungen und Landtagen

Der Kongress hat mit Befriedigung festgestellt, dass der erste Vorschlag im Mai vom Bundesrat aufgriffen und die Vorschläge zwei und drei durch Nationalratsbeschluss Anfang Juli umgesetzt wurden.

Die nächsten Schritte sind nun, nachdem die Empfehlungen vom Ministerkomitee des Europarates an die Bundesregierung übermittelt wurden und in Österreich auch an die Länder weitergeleitet werden, dass in etwa 2½ Jahren ein Dialog zwischen dem Kongress und den Regierungsvertreterinnen und -vertretern von Bund und Ländern über die Umsetzung der Empfehlungen stattfinden wird. Der Kongress lädt regelmäßig die zuständigen Ministerinnen bzw. Minister ein, im Rahmen einer Plenarsitzung über die Umsetzung oder Nicht-Umsetzung der Empfehlungen des Kongresses zu berichten. Dies ist etwa im Jahr 2014 vorgesehen.

Zur aktuellen politischen Diskussion

Bisweilen werden – auch in Österreich – die Gemeinden in erster Linie als Verwaltungssprengel und Erbringer von öffentlichen Dienstleistungen gesehen. Doch die Gemeinden sind mehr! Das habe auch die gestrigen Diskussionen dieser Kommunalen Sommergespräche gezeigt. Gemeinden sind Einheiten mit politischem Gestaltungsspielraum und Gestaltungswillen!

Die Gemeinden gestalten Lebensräume der Menschen und treffen politische Richtungsentscheidungen. Sie entscheiden über ihr spezielles Profil in einem Leitbild, über eine inhaltliche Entwicklungsstrategie als Holzgemeinde, als Forschungsgemeinde etc. Sie entscheiden, sich zusätzlich zu den Pflichtaufgaben als Klimabündnisgemeinde, als Gesundheitsgemeinde, als Menschenrechtsstadt wie Graz oder Salzburg, oder in der Entwicklungszusammenarbeit zu engagieren.

Für die Beurteilung dieser politischen Aktivitäten können kaum technokratische Effizienzkriterien herangezogen werden. Erfolgreiche Gemeindepolitik misst sich nicht nur an den Stückzahlen der erteilten Baubewilligungen oder entleerter Mülltonnen oder an betreuten Senioren und Seniorinnen oder Kindergartenkindern.

Erfolgreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister blicken über den Tellerrand hinaus und pflegen einen Austausch über die Grenzen des eigenen Bezirks, des eigenen Landes hinaus. Und: der österreichische Gemeindebund ist in internationale Netzwerke bestens integriert, sei es im Rat der Gemeinden und Regionen Europas, im Ausschuss der Regionen der EU oder bei uns im Kongress der Gemeinden und Regionen des Europarats.

So, wie der Vertrag von Lissabon eine „Kommunalisierung der EU“ gebracht hat – Stichwort Subsidiaritätskontrolle und Daseinsvorsorge – braucht es auch eine Öffnung, quasi eine „Europäisierung der Kommunen“, um entscheiden zu können, was an Innovation und was von den Megatrends für die eigene Gemeinde passt.

Unsere internationalen Vergleiche zeigen:

l Bürgernähe in politischen und administrativen Entscheidungen bringt Akzeptanz und Zusammenhalt. Dazu braucht es Handlungskapazität und Kooperation über die Gemeindegrenzen hinweg, auch in der Verwaltung. Das Stichwort heißt Arbeitsteilung und Kompetenz.

l Austausch, Benchmarks, good practises bringen Innovation und Fortschritt, bringen den Blick auf neue Lösungen.

Dafür brauchen die Gemeinden sowohl einen rechtlichen Rahmen als auch ein politisches Klima seitens des Bundes und der Länder. Mit den Empfehlungen des Monitoringberichtes über Österreich möchte der Kongress einen konkreten Beitrag zu dieser Diskussion und zur institutionellen Entwicklung in Österreich leisten. Die jüngsten Beschlüsse des Nationalrates und die Entscheidung des Bundesrates, die Frage der Kompetenzverteilung und der Bundesstaatsreform wieder auf die politische Agenda zu setzen, zeigen, dass dies auf fruchtbaren Boden fällt.