Text Box: Verbot der körperlichen Züchtigung von Kindern

Verbot der körperlichen Züchtigung von Kindern

Schlüsselpunkte

·         Ebenso wie sich der Europarat systematisch für die Abschaffung der Todesstrafe in Europa eingesetzt hat, arbeitet er nun an einem Verbot der körperlichen Züchtigung von Kindern in allen Mitgliedsstaaten.

·         Gewalt ist ein schwerer Verstoß gegen die Menschenrechte, und wenn es falsch ist, einen Erwachsenen zu schlagen, dann ist auch falsch, ein Kind zu schlagen. Kinder haben dasselbe Recht auf Achtung ihrer Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit und auf den gleichen Schutz vor dem Gesetz.

·         Bis Mai 2010 hatten Österreich, Bulgarien, Kroatien, Zypern, Dänemark, Finnland, Deutschland, Griechenland, Ungarn, Island, Litauen, Luxemburg, Moldau, die Niederlande, Norwegen, Portugal, Rumänien, Spanien, Schweden und die Ukraine Gesetze über das Verbot der körperlichen Züchtigung von Kindern unter allen Umständen erlassen. Andere europäische Staaten haben sie in Schulen oder im Strafvollzug verboten, das Verbot jedoch noch nicht weiter ausgedehnt.

·         Über das europaweite Verbot hinaus fordert der Europarat von den Regierungen, Programme für Elternschaft einzurichten, um Eltern dabei zu unterstützen, ihre Familien gewaltfrei zu machen.

Zusammenfassung

Der Europarat ist in Europa der führende Wächter der Menschenrechte, einschließlich der Rechte des Kindes. In der Vergangenheit wurden wesentliche Schritte zum Schutz von Kindern unternommen. Dazu gehören die Grundsatzentscheidungen des Gerichtshofs für Menschenrechte, welche die körperliche Züchtigung von Kindern an Schulen, im Strafvollzug und in der Familie anfechten, und die Verurteilung der körperlichen Züchtigung seitens des Kommissars für Menschenrechte, des Ministerkomitees, der Parlamentarischen Versammlung und des Europäischen Ausschusses für Sozialrechte.

2006 wurde das Verbot der körperlichen Züchtigung ein globales Ziel. Die Studie über Gewalt gegen Kinder des Generalsekretärs der Vereinten Nationen setzte das Jahr 2009 als Zieldatum für das Erreichen einer weltweiten  Abschaffung. Obwohl dieses Ziel bisher nicht erreicht wurde, wurden große Fortschritte gemacht. Die Abschaffungskampagne des Europarats wurde 2008 im Puppentheater von Zagreb gestartet, ohne aufgeblasene Reden durch Galionsfiguren und glatte Lobeshymnen darüber, wie gut wir in einer Welt agieren, in der die Rechte des Kindes tagtäglich missachtet werden. Im Vorfeld einer wichtigen internationalen Konferenz im Mai 2010 in Wien, um für eine globale Abschaffung zu werben, verfolgte der Europarat im Hinblick auf die Abschaffung einen Ansatz, der in stärkerem Maße von unten nach oben verlief. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Unterschriftenkampagne zur Unterstützung der Abschaffung. Zehntausende von Unterschriften wurden gesammelt, u.a. von der gesamten Mannschaft von Real Madrid, der italienischen Schauspielerin Claudia Cardinale und vom Friedensnobelpreisgewinner Martti Ahitsaari.

Fragen und Antworten

Was genau ist körperliche Züchtigung?

Der UN-Ausschuss für die Rechte des Kindes definiert körperliche Züchtigung als jede Bestrafung, bei der körperliche Gewalt angewendet wird und die die Absicht verfolgt, einen bestimmten Grad an Schmerzen oder Beschwerden hervorzurufen, wie geringfügig diese auch sein mögen.  Erwachsene sind geschult darin, Euphemismen zu erfinden, um sich wohler zu fühlen, wie z. B. Abreibung oder Klatschen. Für ein Kind ist dies Gewalt und würde man sie gegen einen Erwachsenen durchführen, wäre der Straftatbestand einer Körperverletzung erfüllt.

Warum sollten wir die körperliche Züchtigung abschaffen?

Kinder sind Menschen und die Rechte von Menschen sind durch das internationale Recht geschützt, einschließlich der Menschenrechtskonvention des Europarats. Eines der grundlegendsten Menschenrechtsprinzipien ist das Recht, frei von der Androhung von Gewalt zu leben. Wenn wir unsere Kinder nicht vor Gewalt schützen, brechen wir diese Grundprinzipien. Es gibt viele gute Gründe, die körperliche Züchtigung zu verbieten:

1. Sie kann Kinder schwer schädigen.

2. Sie vermittelt den Kindern, dass Gewalt ein akzeptabler Weg ist, Konflikte zu lösen.

3. Sie ist als Mittel der Disziplinierung ineffektiv und es gibt positive Methoden, um Kinder zu erziehen, zu korrigieren oder zu disziplinieren, die für die Entwicklung des Kindes besser geeignet sind.

4. Es ist schwieriger, Kinder vor schwerem Missbrauch zu schützen, wenn einige Formen von Gewalt legitim sind.

Aber was ist mit den Rechten der Eltern? Verstößt die Abschaffung nicht gegen die Rechte der Familie oder die Religionsfreiheit?

Die Menschenrechte hören nicht an unseren Wohnungstüren auf. Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte haben zunehmend die körperliche Züchtigung verurteilt, zuerst im Strafvollzug und in den Schulen und in neuerer Zeit auch in den Familien. Der Fall der Eltern, die behaupteten, das schwedische Verbot der körperlichen Züchtigung durch die Eltern verstoße gegen ihr Recht auf Achtung des Familienlebens und ihre Religionsfreiheit wurde als unzulässig abgewiesen.

Einige Menschen können auch religiös motivierte Rechtfertigungen für die körperliche Züchtigung vorbringen. Aber die Religionsausübung oder die Weltanschauung muss die Menschenwürde und die körperliche Unversehrtheit respektieren. Bekannte Religionsführer treten mittlerweile der Kampagne für die Abschaffung der körperlichen Züchtigung bei. Bei der Weltkonferenz der Religionen für den Frieden in Kyoto, Japan, im Jahr 2006 befürworteten mehr als 800 Glaubensführer eine religiöse Verpflichtung zur Bekämpfung der Gewalt gegen Kinder und drängten die Regierungen, Gesetze zu verabschieden und alle Formen von Gewalt zu verbieten, einschließlich jeder körperlichen Züchtigung.

Können wir jeden Staat davon überzeugen, die körperliche Züchtigung zu verbieten?

Der Kampf für ein Verbot der körperlichen Züchtigung ist langwierig und hart. Polen führte erstmalig im Jahr 1783 ein Verbot ein; Österreich, Belgien und Finnland folgten im Jahr 1900 und Russland  schaffte sie im Jahr 1917 ab. In Großbritannien, wo die allgemeine Abschaffung der körperlichen Züchtigung kontrovers diskutiert wird, gab es die erste Anfechtung im Jahr 1669, als ein „lebhafter Junge” eine Petition „im Namen der Kinder dieser Nation” im Parlament einreichte, „um die körperliche Züchtigung in den Schulen zu verbieten”. Es dauerte mehr als drei Jahrhunderte, bevor sein Wunsch erfüllt wurde - dank des Education Act aus dem Jahr 1983.

Damit die Abschaffung Erfolg hat, bedarf es einer Kombination aus Rechtsreform und Aufklärung, um die in den Gesellschaften akzeptierte Gewalt durch neue, positive Wege für das Familienleben zu ersetzen. Ein Beispiel ist Schweden, das 1979 als erstes Land der Welt ausdrücklich die körperliche Züchtigung verbot. Es ergriff auch Maßnahmen, um gute Elternschaft zu lehren.

Warum ist es so schwierig, ein Verbot durchzusetzen?

Die meisten Erwachsenen wurden von Eltern erzogen, die der Überzeugung waren, dass Disziplin oder Kontrolle körperliche Gewalt einschloss. Viele Eltern schlagen ihre Kinder. Es fällt ihnen schwer, zu akzeptieren, dass sie etwas falsch machen - auch wenn es eindeutig ist, dass ein starker, körperlich fitter Erwachsener einem kleineren, schwächeren und verletzlicheren Kind erheblichen Schaden zufügen kann. Es bedarf viel Überzeugungsarbeit, damit Erwachsene die hässliche Wahrheit akzeptieren und erkennen, dass es andere Wege gibt, um mit Frustration, Stress und Wut umzugehen.

Was ist der nächste Schritt?

Der Europarat strebt an, dass jeder Staat Gesetze gegen die körperliche Züchtigung verabschiedet und Programme einführt, die Eltern dabei unterstützen, ihre Beziehung zu ihren Kindern anders zu gestalten. Praktiken der guten Elternschaft sind unerlässlich, damit sich gesunde Kinder zu gesunden Erwachsenen entwickeln können.  Es ist unsere Hoffnung, dass die Regierungen nicht nur auf den Aufruf reagieren, ein Verbot gesetzlich zu verankern, sondern auch die Eltern unterstützen (z. B. die Vereinbarkeit von Familie und Arbeit), Dienste für Eltern entwickeln (z. B. Beratungen oder Kurse), Aufklärung betreiben und Maßnahmen ergreifen, welche die Gesellschaft endgültig von der Gewalt wegbringt.  Gewalt gegen Kinder ist falsch, und jeder Erwachsene muss dies begreifen.

Einstellungen, die sich ändern müssen

„Kinder brauchen Disziplin. Mir hat es auch nicht geschadet."

Studien über psychische Gesundheit belegen einen Zusammenhang zwischen Gewalt und schlechter Gesundheit. Erwachsene, die als Kinder misshandelt wurden, sind Glieder einer tragischen Kette: Sie zeigen eine geringere Wahrscheinlichkeit für ein glückliches und erfülltes Leben und eine höhere Wahrscheinlichkeit, selbst gewalttätig zu werden - die einzige Art der Problemlösung, die sie als Kind gelernt haben. Selbst wenn die Auswirkungen nicht offensichtlich sind, es ist unmöglich zu wissen, wie wir geworden wären, wären wir keine Opfer von Gewalt geworden.

„Jeder ist absolut gegen ein Verbot der körperlichen Züchtigung. Es ist nicht möglich, die Haltung der Menschen zu ändern."

Der Fall Schweden beweist das Gegenteil. Als Schweden zum ersten Mal ein Verbot diskutierte, gab es viel Widerstand. 1979 wurde das Verbot zum Gesetz. Aufklärungskampagnen und Kurse über gute Elternschaft führten zu einem grundlegenden Wandel in der Haltung. Im Jahr 1995 glaubten nur noch 6% der Eltern, es sei akzeptabel, sein Kind zu schlagen.

„Okay, die Fälle, die wir in den Zeitungen sehen, sind furchtbar, aber Gewalt in der Familie ist äußerst selten. Die Familie ist ein sicherer Hafen für Kinder."

Die Fälle, die Schlagzeilen machen, sind nur die Spitze des Eisbergs. Studien zeigen, dass die meiste Gewalt und der Großteil der Misshandlungen in der Familie stattfinden. Eine UNICEF Innocenti Report Card zeigte, dass jedes Jahr 3.500 Kinder unter 15 Jahren in Folge von körperlichen Angriffen und von Vernachlässigung in den Industriestaaten sterben.

„Wer mit der Rute spart, verzieht das Kind! Ich möchte nicht, dass meine Kinder verzogene Gören werden!”

Die beste Erziehungsmethode für Kinder ist, sie in einer gewaltfreien Umgebung mit echter Disziplin aufzuziehen, die auf gegenseitigem Respekt und gegenseitiger Toleranz gründet. Ein Kind zu schlagen, ist in Wahrheit ein Lehrstück in schlechtem Verhalten - Kinder lernen von dem, was ihre Eltern machen, nicht von dem, was sie sagen. Positivere Formen der Disziplin bringen ihnen bei, über andere und die Folgen ihres Handelns nachzudenken.

„Kinder sind hart im Nehmen. Sie vergessen sehr schnell.”

Gespräche mit Kindern aus verschiedenen Staaten, manche von ihnen erst 5 Jahre alt, zeigen das Ausmaß des Schadens. „Es tut innen drin weh", sagte eine Siebenjährige. Eine von UNICEF durchgeführte Befragung von Kindern kam zu dem Ergebnis, dass Kinder sich die Gelegenheit wünschen, über Dinge zu sprechen, und nicht geschlagen oder angeschrien werden möchten.

„Die meisten Eltern schlagen ihre Kinder nicht."

Studien belegen, dass in Staaten, in denen die körperliche Züchtigung immer noch legal ist, die meisten Eltern an deren Nutzen glauben und auch anwenden. Eine Forschung in der Slowakischen Republik im Jahr 2002 fand heraus, dass 98,6% der Eltern der Überzeugung waren, sie sollten ihre Kinder schlagen, und 42% dachten, es sei in Ordnung, dies mit einem Gegenstand zu tun.

„Nun, Gewalt ist nicht angenehm, aber es ist kein vorrangiges Problem. Es ist ja nicht so, dass sie der Wirtschaft schadet, oder?"

Gewalt kostet Geld. Sie bedeutet Kosten für das Gesundheitswesen - zum einen, um sich um gebrochene Gliedmaßen zu kümmern, und zum anderen, um später die gebrochenen Leben zusammenzuflicken, da ältere Kinder und Erwachsene, die als Kinder misshandelt wurden, häufig zu Drogen, Alkohol oder  Schulschwänzen greifen, um ihren Problemen zu entfliehen. Ein Bericht der Weltgesundheitsorganisation aus dem Jahr 1999 über Prävention deutet darauf hin, dass die menschlichen und finanziellen Kosten der Kindesmisshandlung für eine Gesellschaft hoch sind: „Präventionskosten sind für den Einzelnen, die Familie und die Gesellschaft um ein Vielfaches geringer als die Kombination aus Anfangs- und Langzeitkosten ….”

„Stock und Stein brechen mein Gebein, doch Worte bringen keine Pein. Wenn ich mein Kind nicht schlage, kann ich ihm auch nicht weh tun, oder?"

Bestrafungen, die keine Gewalt einschließen, können genauso schädlich sein. Die Arbeit des Europarats hat ergeben, dass psychische Gewalt, z. B. das Bedrohen, Lächerlich-machen oder Ängstigen von Kindern, ein schweres Gesundheitsproblem in Europa darstellt. Kinder leiden auch unter der Gewalt zwischen den Eltern. Für die Regierungen ist es die beste Lösung, die Eltern zu unterstützen, damit sie lernen, wie man angemessen reagiert.

„Eltern haben das Recht, ihre Kinder so zu erziehen, wie sie es für richtig halten. Man sollte sie nur in extremen Fällen, wie z. B. Kindesmisshandlung, belangen."

Die Menschenrechte hören nicht an unseren Wohnungstüren auf. Kinder haben dieselben Rechte wie andere Familienangehörigen: Sie dürfen ebenso wenig geschlagen werden wie eine Frau durch ihren Mann geschlagen werden darf. Kinder sind nicht das Eigentum ihrer Eltern; sie sind eigenständige Wesen mit eigenen Rechten.

Webseite der Kampagne des Europarats: www.coe.int/corporalpunishment

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Panos Kakaviatos, Pressestelle

Tel.: +33 (0) 3 90 21 50 21

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Stand: Mai 2010