“Menschenrechte auf lokaler und regionaler Ebene”

Graz, 3. December 2013

Statement von Dr. Andreas Kiefer, Generalsekretär des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarats

Sehr geehrte Damen und Herren,

Es ist eine Freude für mich, heute über die Bedeutung der Umsetzung der Menschenrechte an der Basis, in unseren Regionen und Gemeinden zu sprechen und dabei auf die Rolle des Kongresses der Gemeinden und Regionen einzugehen.

Ich freue mich besonders, weil diese Thematik, die seit einigen Jahren eine neue Priorität des Kongresses der Gemeinden und Regionen ist, zunehmend sowohl innerhalb des Europarates als auch in der Europäischen Union an Bedeutung zugenommen hat. Die Besonderheit des Kongresses ist der Ansatz, den wir verfolgen und dabei stellen wir die traditionelle Ansicht in Frage, dass der Schutz der Menschenrechte ist das alleinige Vorrecht bzw. die alleinige Verantwortung der nationalen Regierungen darstellt. Stattdessen sprechen wir über die vielen Akteure, die nötig sind, um den vollen Genuss und die volle Ausübung der Menschenrechte unserer Bürger zu gewährleisten.

Innerhalb des Europarats, wurde dieser Ansatz besonders während des schwedischen Vorsitzes im Ministerkomitee in den Jahren 2007-2008 betont. Schweden organisierte ein „Forum für die Zukunft der Demokratie“ zum Thema der Wechselbeziehung zwischen Demokratie und Menschenrechten. Dem folgten zwei Konferenzen zur Umsetzung der Menschenrechte auf lokaler und regionaler Ebene, die sowohl die nationalen Regierungen und die lokalen und regionalen Behörden einbezogen.

In der Europäischen Union war einer der ersten Schritte der Agentur für Grundrechte, FRA,  einen Joint-up-Governance-Ansatz zur Umsetzung der Menschenrechte zu entwickeln und verschiedene Akteure einzubeziehen, einschließlich der lokalen und regionalen Behörden

Im Kongress des Europarates, sind wir davon überzeugt, dass die Gemeinden und Regionen Regierungen und ihre gewählten Vertreter vollwertige Akteure und Interessensträger bei der Schaffung von Bedingungen für die Ausübung der Menschenrechte in ihren Gemeinden und in der Gewährleistung ihrer vollständigen Umsetzung sind. Doch diese Ansicht wurde nicht sofort von allen geteilt. Dies gilt für die nationalen Regierungen und die Gemeinde- und Regionalbehörden gleichermaßen.

Auch für lokale und regionale Politiker selbst, war und ist ihre Rolle, Verantwortung und Zuständigkeit  bei der Umsetzung der Menschenrechte nicht immer klar. Und dies spricht wiederum für die Notwendigkeit der Durchführung von Bewußtseinsbildungsmaßnahmen für Menschenrechte an der Basis hervorhebt. Diese Bewusstseinsbildung muss unbedingt auch die Menschenrechtsbildung und Ausbildung für die gewählten Vertreter und ihre Mitarbeiter umfassen sowie auch die gesamte lokale Bevölkerung.

Soweit Bürgerinnen und Bürger betroffen sind, sollten die Menschenrechtserziehung Bestandteil eines umfassenderen Ansatzes der Demokratieerziehung sein. Dies wird derzeit vom Europarat als eine seiner Prioritäten verfolgt. Aktive und bürgerschafts- und gemeinwesenorientierte Bürgerinnen und Bürger  sind ein entscheidendes Element eines partizipativen Demokratie-Modells, das wir bauen wollen bzw. die Staaten dabei unterstützen.

Ich werde mich auf diese und andere Fragen in meiner Präsentation konzentrieren, aber zunächst lassen Sie mich zunächst ein paar Worte über den Kongress der Gemeinden und Regionen sagen. Vermutlich kennen nicht alle unter Ihnen diese unsere Einrichtung.

Innerhalb des Europarats, ist der Kongress die repräsentative Versammlung von mehr als 200.000 Gebietskörperschaften in 47 europäischen Staaten, die lokale und regionale Mandatsträger in den beiden Kammern, Kammer der Gemeinden und Kammer der Regionen zusammenbringt. Der Kongress ist die einzige Institution die ein Mandat für die Überwachung der Anwendung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung durch die Mitgliedstaaten des Europarates hat. Damit ist der Kongress in der Tat ein Teil der Überwachung der Entwicklung der lokalen und regionalen Demokratie auf unserem Kontinent. Auf der Grundlage der Ergebnisse der Überwachung, des Monitorings , verabschiedet der Kongress Empfehlungen an nationale Regierungen und die lokalen und regionalen Behörden, um die Situation zu verbessern.

Dies versetzt den Kongress auch in die Lage, die Einhaltung der Menschenrechte in unseren Gemeinden zu fördern, um die lokalen und regionalen Behörden an ihre Verantwortung für die Umsetzung der Menschenrechte zu erinnern, und um sicherzustellen, dass unsere Gemeinden den gleichen Schutz für alle ihre Bewohner bieten. Aufgabe des Kongresses ist es  nicht, die Einhaltung der Menschenrechte zu überwachen. Er konzentriert sich vielmehr auf die Sammlung  von Informationen über bewährte Praktiken und über „typische“ Anliegen, Herausforderungen und Probleme in den Mitgliedstaaten der Europarat, und insbesondere auf die Rolle der lokalen und regionalen Mandatsträger dabei.

Gestützt auf seine gesamteuropäische Dimension dient auch der Kongress als Forum für den Austausch von Ideen und Vorschlägen, für den Austausch von Erfahrungen und bewährten Praktiken, und empfiehlt sie anderen Gemeinden - mit anderen Worten, als eine Art Startrampe für europaweite Aktionen für die Menschenrechte auf lokaler und regionaler Ebene. Das macht unsere Aktionen zur unverzichtbaren Ergänzung der Maßnahmen und Strategien auf nationaler und europäischer Ebene.

Unser Verständnis dessen, was Menschenrechte sind, entwickelt sich weiter, und mit ihr unser Verständnis der Wege zu ihrem Schutz und ihrer Umsetzung. Unter Menschenrechten verstehen wir heute eine breite Kategorie - bürgerliche und politische Rechte, soziale und wirtschaftliche Rechte, kulturelle Rechte, die Rechte des Kindes, Minderheitenrechte, die Rechte von benachteiligten Gruppen, und diese Liste wächst beständig. Gleichzeitig nimmt die Komplexität ihrer Realisierung zu, auch weil sie verschiedene Regierungsebenen betrifft. Die Herausforderung besteht darin, diese verschiedenen Rechte und ihre Gewährleistung in einem einzigen kohärenten Ansatz zu verbinden, an dem eine Vielzahl von Akteuren mitwirkt.

Um diesen Ansatz zu definieren sind wir im Kongress davon überzeugt, dass wir uns zuerst ansehen müssen, was die Gewährleistung und Umsetzung der Menschenrechte begründet. Menschenrechte haben eine sehr konkrete Dimension, auch wenn wir oft in abstrakten Begriffen von ihnen sprechen. Und weil die Menschenrechte konkret sind, so muss es auch ihre Umsetzung sein, die dann aber nicht in einem abstrakten Rechtsraum stattfindet, sondern in einem konkreten Umfeld, in dem Menschen leben, arbeiten und interagieren - in der Umwelt unserer Gemeinden, unserer Städte, Städte und Regionen.

Eleanor Roosevelt sagte einmal: "Es ist in der Gemeinde, in der Nähe der Wohnung ... wo die Menschen nach Gerechtigkeit, Chancengleichheit und gleicher Würde ohne Diskriminierung streben. Wenn diese Rechte hier keine Bedeutung haben, dann sind sie auch anderswo nicht von großer Bedeutung. "

In der Tat, lokale und regionale Behörden wenden in der täglichen Praxis viele der Menschenrechtsprinzipien und Standards an, die in internationalen Verträgen wie der Europäischen Menschenrechtskonvention festgelegt sind. Allerdings, in der Regel sprechen wir nicht von sozialen Dienstleistungen und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse als Menschenrechten.

Zum Beispiel das Recht auf Wohnung bedeutet, Aufbau und Erhaltung von geeigneten Lebensräumen. Das Recht, nicht diskriminiert zu werden und gleich mit anderen Mitgliedern der Gemeinschaft behandelt zu werden, bedeutet die Überwindung von Intoleranz und die Beseitigung der Voreingenommenheit. Ich könnte auch auf die direkte Aufgaben der lokalen und regionalen Behörden in Fragen der religiösen Rechte verweisen - Bau von Gotteshäusern, Schutz religiöser Stätten, Schaffung der Voraussetzungen für die Einhaltung der religiösen Traditionen. Und lassen Sie uns nicht vergessen, Zugang zu einer ganzen Reihe von sozialen Rechten wird von den lokalen und regionalen Behörden gewährleistet: Zuteilung von Wohnungen, Vorschriften für lokale Beschäftigung, Zugang zu Gesundheitsleistungen und zu Schulbildung und auch zu höherer Bildung in bestimmten Regionen - ich könnte diese Liste fortsetzen.

Es ist klar, die Annahme "guter Gesetze" in den Parlamenten reicht bei weitem nicht aus, um die Achtung der Menschenrechte in der Praxis zu garantieren. Die nationalen Regierungen, die ihre Menschenrechtsstrukturen haben, müssen mit den lokalen und regionalen Behörden zur Schaffung geeigneter Praktiken interagieren. Die Übertragung von Kompetenzen auf die lokale und regionale Ebene - ermöglicht durch die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung und das Subsidiaritätsprinzip – hat auch die Übertragung von Verantwortung in Fragen der Menschenrechte zur Folge.

Fragen wir uns: Wenn eine Stadtverwaltung eine Demonstration genehmigt oder verbietet, ist sie dann nicht direkt in die Gewährleistung der Versammlungsfreiheit involviert?

Und wenn sie Plakate in der Stadt wegen ihres Inhalts verbiet, ist es nicht ein Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung?

Und wenn brutales Vorgehen der Stadtpolizei vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht wird, dann betrifft das auch die Kommunen? Ich werde hier aufhören, aber ich könnte andere Beispiele nennen.

Vor ein paar Jahren bat der Kongress den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte um eine Auswahl von Entscheidungen, die lokalen und regionalen Behörden betreffen. Es würde lange Zeit in Anspruch nehmen, diese Frage im Detail zu sprechen. Es ist bemerkenswert, dass aus dieser Auswahl die häufigsten Verletzungen Artikel 8 (Achtung des Privat-und Familienlebens), Artikel 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) und -  beachten Sie -  Artikel 11 (Versammlungs-und Vereinigungsfreiheit) der Konvention betreffen. Weiters handelt es sich um die Artikel 1 und 3 des ersten Zusatzprotokolls, die sich mit dem Schutz des Eigentums und das Recht auf freie Wahlen befassen. Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung können wir deutlich den Umfang der Zuständigkeiten der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften und die mögliche Auseinandersetzung mit den Grundrechten zu verstehen, wenn ein Ausgleich zwischen der Beschränkung eines Interesses und dem Schutz eines anderen getroffen werden muss: - zum Beispiel:  das Risiko, die Versammlungsfreiheit einzuschränken, um die öffentliche Sicherheit zu wahren.

Stellen wir uns noch eine andere Frage: wollen sich nationale Behörden wirklich lieber alleine mit diesem riesigen Universum von Menschenrechten beschäftigen, oder würden sie lieber Partner auf allen Ebenen der Verwaltung in diesen Fragen haben?

Wir im Kongress davon überzeugt, dass die Menschenrechte eine gemeinsame Verantwortung sind. Während die Regierungen internationale Verträge im Namen des Staates unterzeichnen  und die nationalen Parlamente ratifizieren, die tägliche Arbeit der Umsetzung der Menschenrechtsstandards ruht oft auf den Schultern der lokalen und regionalen Behörden.

Das war auch die Essenz unserer Entschließung und Empfehlung über die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei die Umsetzung der Menschenrechte, die wir im März 2010 verabschiedet haben. In diesen Texten empfehlen wir die Schaffung geeigneter Strukturen und der Entwicklung von Verfahren auf lokaler und regionaler Ebene, um die Menschenrechtsaspekte unter anderem bei der Bereitstellung von öffentlichen Dienstleistungen zu bewerten und zu verbessern.

Wir empfehlen, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Ausarbeitung der nationalen Menschenrechtsstrategien und –politiken von Beginn an einzubeziehen. Wir schlagen auch die Gründung unabhängiger Beschwerdemechanismen an der Basis vor, und Durchsetzungsgarantien für gleichen Zugang zu öffentlichen Dienstleistungen, sowie ein System der Qualitätskontrolle. Darüber hinaus fordert der Kongress die lokalen und regionalen Behörden auf, Indikatoren anzuwenden, um die Einhaltung der Menschenrechte zu messen, für die Menschenrechtsaktivitäten eine Vorsorge in den Budgets zu treffen sowie eine Menschenrechtsaus- und –fortbildung für die gewählten Politikerinnen und Politiker und die Verwaltungsbeamten anzubieten.

Last but not least, beschloss der Kongress, die Umsetzung der Menschenrechte als einen zusätzlichen Teil des Monitoring-Prozess einzuführen, um eine Bestandsaufnahme der Situation in den Mitgliedstaatenvorzunehmen.

In einer weiteren Entschließung vom Oktober 2011haben wir unsere spezifische Methodik entwickelt, die auf den Indikatoren der Vereinten Nationen basiert, und konkrete Rechte - politische, soziale oder kollektive Rechte - ausgewählt, die für die Gemeinden und Regionen von Relevanz sind. Dies setzte unser politisches Engagement für eine bessere Umsetzung der Menschenrechte auf lokaler Ebene in Bewegung.

Unsere Position wurde auch von den derzeitigen und ehemaligen Menschenrechtskommissaren des Europarates unterstützt. Der ehemalige Kommissar, Thomas Hammarberg, hat bei vielen Gelegenheiten bekräftigt, dass der Menschenrechtsansatz auf lokaler Ebene die Bürger befähigt, ihre Rechte einzufordern und damit zur Verbesserung ihrer Situation beiträgt. Laut Thomas Hammarberg steht ein solcher Ansatz in engem Zusammenhang mit guter Regierungsführung (good governance) und lokale Politiker und Beamte sollte die Möglichkeit ergreifen, die Lebensqualität in ihren Gemeinden durch die Umsetzung der Menschenrechte in ihrer normalen Arbeit zu verbessern.

Und doch ist nicht allen Gemeinden und Städte diese Möglichkeit und ihre wichtige Rolle bewußt. Allerdings ist es ermutigend zu sehen, dass viele von ihnen "Aufwachen". Viele Städte - wie Barcelona – haben die Human Rights Städte gegründet, und einige haben bereits stellvertretende Bürgermeister für den Schutz und die Förderung der Menschenrechte eingerichtet oder lokale Ombudsleute oder Bürgeranwälte etabliert oder Strategien in dieser Hinsicht entwickelt – zum Beispiel, Paris, Salzburg, Utrecht, Namur, Helsinki, Portsmouth, Oslo, und natürlich Graz, um nur einige zu nennen.

Der Kongress fordert und fördert solche Praktiken, insbesondere die Schaffung von Büros der lokalen und regionalen Menschenrechtsbeauftragten. Wir versuchen auch den Austausch dieser Erfahrungen zu gewährleisten. Derzeit bereitet der Kongress seinen dritten Bericht in Menschenrechtsfragen vor, der im März 2014 dem Plenum vorgelegt werden soll und eine Zusammenstellung von guten Praktiken in den im Europarat vertretenen Staaten enthalten wird. Das Ziel dieses letzten Bericht ist es, diese Best Practices bekannt zu machen, um beizutragen, dass sie ähnliche Initiativen in anderen europäischen Ländern inspirieren.

Wir sind überzeugt, dass die Kultur der Menschenrechte auf der Ebene unserer Gemeinden eingebettet werden muss und kann. Wie die Kompetenzen der Gemeinden wachsen, so wächst auch ihre Verantwortung in Bezug auf Schutz und Förderung der Menschenrechte. Die Ausübung Menschenrechte durch die Bürgerinnen und Bürger beginnt in unseren Gemeinden und wird dort direkt und konkret erfahren. Daher sagen wir, dass die lokalen Behörden die erste Verteidigungslinie der Menschenrechte sind und auch die Startrampe für ihre Realisierung. Alle Menschen sind Träger der Menschenrechte unabhängig von ihrem rechtlichen Status als Staatenlose, Flüchtlinge, Migranten oder Ausländer, unabhängig davon, ob sie Frauen, Kinder, ältere Menschen oder Menschen mit Behinderungen sind, unabhängig von ihrer Religion, ihrer ethnischen Herkunft, ihren politischen Ansichten oder sexueller Orientierung. In den Augen der lokalen Behörden, sind sie – jedenfalls müssen sie es sein - gleichberechtigte Mitglieder der Gemeinschaft.

Heute ist es wichtig, dass die Regierungen erkennen, dass die nationale Ebene nicht der einzige Garant der Menschenrechte ist. Die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften brauchen die Unabhängigkeit und Autonomie, Entscheidungen als Reaktion auf die Bedürfnisse ihrer Bürgerinnen und Bürger zu treffen, die sich im Rahmen der Gesetze aber frei von ungebührlicher Aufsicht und Kontrolle der nationalen Regierungen bewegen. Diese Unabhängigkeit zur Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten ist ja auch von der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung garantiert. Es ergibt sich aus der Tatsache, dass die kommunale Selbstverwaltung ist ein politisches Grundrecht an sich ist, das auch anerkannt und auf nationaler Ebene geschützt werden muss.

Die Situation hat sich in die richtige Richtung verändert. In den letzten Jahren sehen wir zunehmende Ambition für lokale Selbstverantwortung, eine bessere Umsetzung der Menschenrechte auf lokaler Ebene zu gewährleisten, für die die nationale Gesetzgebung oft die Verantwortung in den Materiengesetzen den Gemeinden übertragen hat. Ein anderer Teil  ergibt sich direkt aus den Prinzipien der lokalen und regionalen Selbstverwaltung, etwa aus dem Recht, ihre eigenen Angelegenheiten selbst zu regeln. Die Erklärung zu einer „Menschenrechtsstadt“ mit den damit verbundenen Konsequenzen ist so eine Entscheidung im eigenen Wirkungsbereich. Die Gemeinden sind ja nicht nur "Agenturen" der Bundes-

oder der Landesregierungen - sie haben ihre eigene Verantwortung für die Gewährleistung Menschenrechte, so wie den Zentralregierungen die Hauptverantwortung für die Umsetzung der Menschenrechtsabkommen zukommt.

Wir erleben weiters eine wachsende Anerkennung der starken Wechselbeziehung zwischen lokaler Regierungsführung (Governance), Menschenrechten und Demokratie. Die Balance zwischen der Gewährleistung der Menschenrechte auf der einen Seite, und der lokalen oder regionalen Selbstverwaltung auf der anderen Seite ist von entscheidender Bedeutung für die Demokratie. Menschenrechte können ohne Demokratie nicht erreicht werden, und eine "echte" Demokratie kann ohne die Achtung der Menschenrechte bestehen. Gleichzeitig gibt  es keine wirkliche Demokratie ohne die Demokratie auf Gemeindeebene. Und wenn die Menschenrechte im Alltag nicht eingehalten werden, dann werden sie auch sonst nie eingehalten werden. Das bedeutet, dass es keinen Konflikt zwischen der Gewährleistung der Menschenrechte und der lokalen Selbstverwaltung gibt.

Ganz im Gegenteil. Heute gründet unser demokratisches System auf unserer tief verwurzelten Überzeugung, dass eine wirksame Demokratie und gute Regierungsführung auf allen Ebenen Voraussetzungen für die Schaffung nachhaltiger Gesellschaften sind, in denen die Menschen eine gute Lebensqualität und wirksame Teilhabe genießen. Die bedingungslose Einhaltung der Grundrechte ist eine conditio sine qua non der guten Regierungsführung, auch auf lokaler und regionaler Ebene. In anderen Worten, es gibt keine gute Regierungsführung und keine Demokratie ohne Einhaltung der Menschenrechte. Diese gegenseitige Abhängigkeit bedeutet, dass die Achtung der Menschenrechte auch die Bedeutung der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung erhöht.

Lassen Sie mich nun einen genaueren Blick auf den ersten Bericht des Kongresses richten, der die Rolle der Gebietskörperschaften bei der Umsetzung der Menschenrechte thematisiert. Der Bericht analysiert drei Aspekte der Umsetzung der Menschenrechte:

den Gleichklang von Gewährleistung der Grundrechte und der kommunalen Selbstverwaltung,

die Vielfalt der Rechte und

die Herausforderung, gute Methoden für die Umsetzung zu identifizieren.

Um damit zu beginnen, müssen wir erkennen, von welchen Rechte wir sprechen. Einige Rechte dienen als Grundlage für andere, gültig für alle Personen, unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft, während einige in ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Kontext gesehen werden müssen (wie die "neueren" sozio-ökonomischen Rechte). Gemeinden und Städte haben unterschiedliche Grade der Verantwortung,  je nachdem, welche Rechte und welche Bereiche betroffen sind:

ob sie es mit Flüchtlingen, Rassendiskriminierung oder sexueller Intoleranz zu tun haben,

ob es um die Möglichkeit geht, frei von Vorurteilen und Diskriminierung, zu arbeiten und Beschäftigung zu erhalten,

oder um das Recht auf ein menschenwürdiges Zuhause ohne unnötige Einschränkungen,

oder um das Recht für Kinder auf Bildung, das Recht auf eine gute Gesundheitsversorgung,

Und: es geht um den Zugang zu diesen Rechten.

Also, um welche Rechte handelt es sich? Einige Rechte, wie die Freiheit von Rassendiskriminierung, sind gesetzlich geschützt und durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bestätigt. Sie sind nicht verhandelbar. Bürgerliche und politische Rechte und Freiheiten beziehen sich hauptsächlich auf den Staat. Die Menschen haben auch wirtschaftliche und soziale Rechte, von der Solidarität zwischen den Bürgern stammen. Diese Rechte muss der Mitgliedstaat interpretieren und innerstaatlich umsetzen und ist dabei verpflichtet, sein Möglichstes tun, um der Konvention entsprechen. Das Recht auf angemessenen Wohnraum, zum Beispiel, könnte voll etabliert sein, auch wenn der Standard eine "variable Geometrie" zwischen den Mitgliedsländern ist. Er kann sich sogar innerhalb eines Landes unterscheiden. Wenn die nationale Ebene den Mindeststandard festlegt, so können die Entscheidungen auf lokaler Ebene individuelle Rechte und lokalen Prioritäten in Einklang bringen. Die Herausforderung, dass jeder zumindest die nationale Norm erhält, kann etwa durch ein Ausgleichssystem gelöst werden.

Dann gibt es ein Problem des Wohlfahrtsteils der lokalen und regionalen Verantwortung. In einer zivilisierten Gesellschaft stellt Sozialhilfe eine wichtige Rolle bei der Anerkennung der erforderlichen Unterstützung für benachteiligte Gruppen wie Behinderte, ethnische Minderheiten, Kleinkinder und ältere Menschen. Gemeinden verfügen über direkte Zuständigkeiten in diesen Bereichen und können dazu beitragen, dass Mitglieder dieser Gruppen voll teilhaben und respektierte Mitglieder der Gesellschaft werden.

Die Frage nach den Kosten für die Menschenrechte ist nicht einfach zu beantworten. Freiheiten zu achten oder die Abgabe von sozialen Dienstleistungen in einer Weise, die die Menschenrechte achten, müssen nicht unbedingt Mehrkosten zur Folge haben. Die Anpassung von Verwaltungsverfahren und Schulungen können beitragen, das Ziel zu erreichen. Aber besondere Unterstützungen für kranke oder ältere Menschen könnten zu weiterem wirtschaftlichen Druck auf die Gemeindehaushalte führen. In diesem Zusammenhang garantiert Artikel 9.1 der Europäischen Charta der kommunalen Selbstverwaltung „ausreichende finanzielle Mittel“ für Kommunen. Diese Bestimmung ist von entscheidender Bedeutung und muss immer eingehalten werden.

Verhandlungen zwischen den Akteuren der verschiedenen Gesellschaftsschichten sind auch ein guter Weg zur Erreichung eines zuverlässigen Ergebnisses. Sie, die Verhandlungen,  sind das Bindeglied zwischen den Menschenrechten und dem Recht auf kommunale Selbstverwaltung. Also: nicht in Übereinstimmung mit den Menschenrechten zu handeln, mit kann auch zu höheren Kosten führen. Diese Kosten sind nicht nur wirtschaftliche und soziale, sondern auch politische Kosten.

Schließlich behandelt der Bericht die Frage der Methoden für die Umsetzung der Menschenrechte, einschließlich der Sensibilisierung, einen pro-aktiven Ansatz, den Austausch von Erfahrungen und ein Menschenrechte-Mainstreaming. All das sind die Bausteine eines Aktionsplans, den wir vorschlagen. Dieser Aktionsplan betrifft sowohl die einzelnen Gemeinden und den Kongress selbst.

Was sind die Hauptlinien des Aktionsplans?

Ich möchte  auf die Bereiche Schulung, Sensibilisierung, Benchmarking und die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerdemechanismus eingehen.

Die lokalen und regionalen Mandatsträger und ihre Mitarbeiter sollten geschult werden, um die Menschenrechte zu respektieren. Besseres Bewusstsein führt zu einer besseren Regierungsführung und dadurch kann vieles erreicht werden. Die Ausbildung ist auch erforderlich, um die Kompetenzen der Politikerinnen und Politiker und ihrer Mitarbeiter zu stärken und zu verbessern. Sie sollten den heutigen Standards und Anforderungen  für Menschenrechtsaktivitäten entsprechen und auch die Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen und der konkreten Zuständigkeiten der Gemeinden umfassen.

Zweitens sollten die Menschenrechte in die normale Arbeit der öffentlichen Verwaltung, der Budgets und die Dienstleistungserbringung integriert werden. Nationale Aktionspläne und Indikatoren müssen in Zusammenarbeit mit der lokalen und regionalen Ebene erarbeitet werden. Das ist eine Verantwortung für die Mitgliedstaaten und für den Kongress. Wir treten daher für einen systematischen Dialog aller Ebenen der Gebietskörperschaften ein.

Es gibt keine Standard-Lösung für die Umsetzung der Menschenrechte. Wir brauchen ein Tool-Kit von Methoden, die den örtlichen Gegebenheiten angepasst sind. Der Austausch von guten Praktiken ist ein Schlüssel zum Erfolg, und der Kongress hat eine bedeutende Rolle als Vermittler von erfolgreichen Erfahrungen zu spielen.

Schließlich, wenn die Dinge schief gehen, müssen die Bürger auf einen unabhängigen Beschwerdemechanismus  in ihrer Gemeinde oder Region zurückgreifen können. Dies kann in unterschiedlicher Form geschehen: durch Bürgeranwälte /  Ombudspersonen (lokal oder regional, national oder thematisch, von der nationalen Ebene dezentralisiert), Patientenanwaltschaften oder Antidiskriminierungsstellen. Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten auch so weit wie möglich einbezogen werden, und auch private Institutionen zur Verteidigung und Förderung der Menschenrechte werden oft beigezogen. Unsere Bewohner müssen ausreichend Unterstützung und Beratung haben, um ihre Rechte wahrzunehmen.

Es ist klar, dass die Umsetzung solcher Maßnahmen und Aktionspläne eine große Herausforderung für die lokalen und regionalen Mandatsträger darstellt, weil ihr politisches Engagement durch die erforderlichen Rechtskenntnisse, finanzielle Ressourcen und die Koordination mit anderen Beteiligten abgesichert werden muss. Als Einschränkungen, denen sich Gemeinden bei der Durchführung ihrer Arbeit zugunsten der Menschenrechte konfrontiert sehen, würde ich in erster Linie Einschränkungen ihrer rechtlichen Befugnisse und den Umfang ihrer Anwendung nennen. Die Zuständigkeitsverteilung zwischen nationalen, regionalen und lokalen Behörden ist in jedem Land unterschiedlich, aber diese Zuständigkeitsverteilung regelt auch die  Grenzen, was lokale Politikerinnen und Politiker tun können.

Diese rechtlichen Grenzen gehen Hand in Hand mit der Angemessenheit (oder nicht) der finanziellen Mittel und Möglichkeiten, über die die Gemeinden verfügen. Im Idealfall verlang die Europäische Charta der kommunalen Selbstverwaltung dass mit den Zuständigkeiten auch angemessene finanzielle und personelle Ressourcen für die Umsetzung der konkreten Maßnahmen, Initiativen und Projekte übertragen werden müssen. Daher ist die politische und finanzielle Unterstützung von Bund und Land entscheidend für den Erfolg der Menschenrechtsaktivitäten in den Gemeinden. Ein weiterer Erfolgsfaktor ist die Zusammenarbeit und Koordination der Gemeinden mit anderen Akteuren - Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft sowie mit der regionalen, nationalen und internationalen Ebene; von unten nach oben auf der Leiter des Subsidiaritätsprinzips.

Nicht zuletzt möchte ich nochmals die Notwendigkeit einer wirksamen Menschenrechtsausbildung erwähnen.

Es versteht sich von selbst, dass wir im Kongress alle innovativen Ideen und Maßnahmen auf Gemeindeebene gerne aufnehmen. Viele bestehende kommunale Netzwerke spielen heute eine wichtige Rolle als Ideengeber, Katalysatoren für positive Veränderungen und als Werkzeug für die Bündelung von Ressourcen, für die Entwicklung von Vorschlägen und die Umsetzung von Maßnahmen in vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens.

Aber in erster Linie müssen wir unsere institutionellen Partner ansprechen und gewinnen. Innerhalb des Europarats wird der Kongress seine Aktivitäten mit jenen des Ministerkomitees, der Parlamentarischen Versammlung, des Menschenrechtskommissars und der Konferenz der internationalen NGOs. verbinden. 

Außerhalb des Europarates müssen wir auch gemeinsam mit dem EU-Ausschuss der Regionen und anderen europäischen Organisationen und Netzwerken von lokalen und regionalen Behörden sowie der Grundrechteagentur der EU arbeiten, um einen abgestimmten Ansatz im Gleichklang für die Umsetzung der Menschenrechte auf unserem Kontinent zu erreichen.

Ich danke Ihnen.