Interview Dr. Wolfgang Schuster: Erfolgreiche Integration und Jugendförderung durch städtische Sportpolitik

Wolfgang Schuster, Oberbürgermeister von Stuttgart und Initiator eines breit angelegten Gemeindeprogrammes zur Verbesserung des Wohls der Kinder in den Städten, weist darauf hin, wie wichtig es ist, Sportinfrastrukturen in den Städten zu entwickeln. Seine Stadt erhielt 2007 den Titel „Europas Hauptstadt des Sports“ und konnte über den Austragungsort des Wettbewerbs 2021 entscheiden. « Eine Stadt zeigt insbesondere seine Kinder- und Jugendfreundlichkeit durch ihr Angebot in den Bereichen Sport und Bewegung. Aus diesem Grund liegt in Stuttgart bei seinen Richtlinien zur Förderung des Sports der Schwerpunkt auf Kindern und Jugendlichen » erklärt er in einem Interview.

Interview: 7 oktober 2010

Frage: Seit 1999 ernennt die European Capitals of Sport Association (ACES) jedes Jahr eine andere Groß-oder Hauptstadt zur Europäischen Hauptstadt des Sports. 2007 wurde Stuttgart selbst zur Hauptstadt des Sports gekürt -heuer war Ihre Stadt für die Wahl des Austragungsortes dieses Wettbewerbes im Jahr 2012 zuständig. Was bedeutet dieser Titel konkret und was müssen lokale Entscheidungsträger tun, damit ihre Stadt auf die Bewerbungsliste kommen kann?

Wolfgang Schuster: Die European Capitals of Sport Association (ACES) versteht sich als Teil der olympischen Bewegung. Deren Werte sollen auf Ebene der Städte gefördert werden. So wie die Olympischen Ringe miteinander verbunden sind, sind auch die Ziele miteinander verbunden, die die Mitgliedsstädte von ACES erreichen wollen. Es geht dabei um Freude an der Bewegung, Leistungsbereitschaft, Erleben von Gemeinschaft, Fair play und natürlich um Gesundheitsförderung.

Städte, die sich für den Titel "Europäische Hauptstadt des Sports" bewerben wollen, sollten den Sport in ihrer Kommune nachhaltig und breit gefächert fördern. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Integration sozial benachteiligter Gruppen durch Sport. Auch die Weiterentwicklung der Sportinfrastruktur und innovative Sportprojekte spielen eine Rolle.

Die Städte erhalten mit den Bewerbungsunterlagen einen Fragebogen, der diese Punkte dezidiert anspricht.

Frage: Die Stadt Stuttgart ist schon seit langem für engagierte Kinder- und Jugendpolitik bekannt. Wie sehen sie die Rolle des Wettbewerbes um die Sporthauptstadt in diesem Zusammenhang: Will man damit in erster Linie jüngere Gruppen ansprechen oder zielt diese Initiative auch auf ältere Bevölkerungskreise ab oder auf jene, die normalerweise gar keinen Sport betreiben?

Wolfgang Schuster:  Die Städte in Europa stehen zwei Herausforderungen gegenüber: den Veränderungen durch die Globalisierung und der demographischen Entwicklung. Dies bedeutet, dass unsere Stadtgesellschaften durch die Einwanderung immer internationaler werden und die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund weiter steigen wird. Zugleich werden unsere Mitbürger immer älter, die Zahl der Kinder nimmt seit vielen Jahren konstant ab.

Doch ohne Kinder sind unsere Städte nicht zukunftsfähig! Wir brauchen kinder-freundlichere Stadtgesellschaften mit Rahmenbedingungen, die es jungen Leuten wieder erleichtern, sich für Kinder zu entscheiden: also familienpolitische Leistungen auf nationaler Ebene, aber auch ein entsprechendes städtisches Umfeld. Stuttgart hat schon vor Jahren das Ziel formuliert, die kinderfreundlichste Stadt Deutschlands zu werden.

Gemeinsam mit der Robert Bosch-Stiftung  habe ich das Netzwerk "Cities for Children" gegründet, damit wir uns mit anderen europäischen Kommunen austauschen können, die Kinderfreundlichkeit auf ihrer Agenda haben. Kinder- und Jugendfreundlichkeit äußert sich nicht zuletzt im Sport- und Bewegungsangebot einer Stadt. Der Schwerpunkt von Stuttgarts Sportförderrichtlinien liegt daher im Kinder- und Jugendbereich.

Als Sporthauptstadt sieht sich Stuttgart freilich vielfältigen Anforderungen gegenüber. Es geht im Grunde genommen darum, für jede Bürgerin und jeden Bürger, egal welchen Alters, eine sinnvolle Bewegungs-und Freizeitmöglichkeit anzubieten. Gerade für ältere Bevölkerungsgruppen hat da Stuttgart attraktive Angebote im Programm.

Frage: Nicht alle Städte können sich teure moderne Sportanlagen leisten -schon gar nicht in Krisenzeiten, wie wir sie jetzt erleben. Was kann man Städten empfehlen, die trotz wenig Geld in den öffentlichen Kassen ihre Sportpolitik weiter entwickeln möchten?

Wolfgang Schuster:  2007 hat uns im Rahmen der Titelträgerschaft als "Europas Hauptstadt des Sports" dazu bewogen, nicht nur zwei erfolgreiche Kongresse zu organisieren, sondern auch eine Sportentwicklung anzustoßen, die als Grundlage für weitere Maßnahmen wichtige Impulse gesetzt hat. Das investierte Geld ist gut angelegt. Es hilft uns Synergieeffekte zu komprimieren, Netzwerke zu bilden, Fusionen zu forcieren und damit Freiräume zu schaffen für neue Entwicklungen und innovative Ideen.

Frage: Oft sagt man, dass Sport nicht nur Spaß an der Bewegung bringt und die Gesundheit fördert, sondern auch positive Aspekte für die ganze Gesellschaft hat, in dem Menschen lernen, voreinander Respekt zu haben und auch Gemeinschaft aktiv erleben zu können. Welche konkreten Vorteile erwarten sich Stadtverantwortliche, die sich besonders für die Sportpolitik einsetzen?

Wolfgang Schuster: Sport ist ideal, um im sozialen, gesellschaftlichen und zwischenmenschlichen Bereich viel in Bewegung zu bringen. In Stuttgart gibt es seit 1995 ein erfolgreiches Programm, das das Gemeinschaftserlebnis Sport in den Mittelpunkt stellt. - Das also sportliche und sozial-integrative Themenstellungen miteinander verbindet.

Die Zielsetzung, speziell auf benachteiligte Jugendgruppen einzugehen und sie mit attraktiven Angeboten anzusprechen, hat ein Netzwerk aus 180 Partnern (Schulen, Kinder-und Jugendhilfe, Sportvereine, Polizei, Feuerwehr etc.) entstehen lassen.

Frage: Mit welchen Botschaften werben Städte, die sich für diesen Titel bewerben - und wie können solche Städte von den Erfahrungen, die Stuttgart gemacht hat, lernen?

Wolfgang Schuster: Jede Stadt hat ihre eigenen Stärken, auch beim Sport. Der Kontakt unter den bisherigen Titelträgern ist recht intensiv. Außerdem sind wir gerade dabei, resultierend aus unseren bisherigen Erfahrungen als Titelträger, aber auch aus der allgemeinen Sportentwicklung heraus, eine Datenbank zu erstellen (www.citiesforsports.eu). Aktueller Aufhänger ist das EU-Projekt „You need Exercise“, das wir gemeinsam mit Athen, Innsbruck, Kopenhagen und Rotterdam durchführen. Ziel ist die Stärkung der alltäglichen Bewegungskultur von Kindern in europäischen Städten, da die Kinder in den meisten Ländern mehr und mehr bewegungsauffällig und auch übergewichtig sind.Mir ist wichtig, dass die Kommunen voneinander lernen und über die Stadtgrenzen hinausblicken. Gute Ideen funktionieren vielerorts. Im Rahmen eines großen europäischen Kongresses, der derzeit in Stuttgart stattfindet, werden Erfahrungen zwischen Städten ausgetauscht und Expertenmodelle zur Bekämpfung von Bewegungsarmut bei Kindern vorgestellt. Am Ende sollen praktische Empfehlungen zur Stärkung der alltäglichen Bewegungskultur bei Kindern verabschiedet werden.