18th Plenary Session of the Congress

Strasbourg, 17 März 2010

Rede von Oberbürgermeister Stefan WOLF

im Rahmen des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates

« Die Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bezüglich der Umsetzung der Menschenrechte »

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

verehrte Kollegen aus den Städten und Regionen Europas,

Es ist für Weimar eine große Ehre, dass ich an dieser Stelle - stellvertretend für 400 Städte aus den 47 Ländern des Europarates - einige Gedanken zur « Rolle der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bezüglich der Umsetzung der Menschenrechte » vor Ort äußern kann.

Ich gehe davon aus, dass die Wahl nicht zufällig auf Weimar gefallen ist : Und so möchte ich Sie hier auch ausdrücklich mit dem Blickwinkel dieser kleinen, vergleichsweise wohlhabenden deutschen 65.000-Einwohnerstadt mit rund 4 Millionen Gästen pro Jahr konfrontieren, einer Kulturstadt, in der sowohl die Wurzeln des deutschen Humanismus als auch die Spuren des nationalsozialistischen Terrors zu finden sind - ein Lernort der europäischen Kulturgeschichte also, an dem zudem seit 15 Jahren einer der wichtigsten europäischen Menschenrechtspreise verliehen wird.

Erlauben Sie mir, meine Damen und Herren, einen kurzen Blick in medias res : einen  Blick in den Alltag dieses mitteldeutschen Weltdorfes in der Hoffnung, dass unsere Fragen nach der Umsetzung der Menschenrechte auf diese Weise lebendig und konkret werden.

Heute vor einer Woche war der Minister für Kultur und Fremdenverkehr der Islamischen Republik Iran, Hamid Baghaei, in Weimar zu Gast. Es ging um den Westöstlichen Diwan, um die poetische Freundschaft von Okzident und Orient, um Kulturaustausch. Auf dem Markt demonstrierten Weimarer friedlich für Demokratie und Menschenrechte im Iran und für die Solidarität mit Israel und die Zeitungen titelten » Der Oberbürgermeister begibt sich auf glattes Parkett ».

Ich erzählte meinem iranischen Gast von Franz Liszt, dem europäischen Kosmopoliten, vom Osteuropäer Johann Gottlieb Herder und seiner Geschichte der menschlichen Kulturen und von der weltweiten Ausbreitung des Bauhauses nach seiner Geburt in und Vertreibung aus Weimar 1919 bis 1926.  Und natürlich war in diesem Gespräch mit Ahmadinedschads Kulturminister auch vom zigtausendfachen Mord und der Verrohung der Menschen zwischen 1937 und 1945 in Weimar die Rede.

Denn wer in Weimar über Kultur spricht, kann und darf über das Konzentrationslager Buchenwald und die Frage nach den Menschenrechten und ihrer Verletzungen nicht schweigen, meine Damen und Herren. Eben dies haben wir von den Überlebenden des Weimarer KZ Buchenwald gelernt:

Das Recht auf die eigene Lebensgeschichte ist ein existenzielles Menschenrecht !

Als politische Autoritäten vor Ort stehen wir in der Pflicht, den Menschen zu diesem, ihrem Menschenrecht auf das eigene Schicksal zu verhelfen. Dies betrifft auch die Verfolgrten und Asylsuchenden, die die oft tödliche Grenze von Schengen überschritten haben und in unseren europäischen Auffanglagern oder Wohnheimen über die Jahre des Wartens das Wissen von sich zu verlieren drohen.

Das Recht auf das eigene Schicksal, auf die eigene Lebensgeschichte  möchte ich deshalb hier gern als einen ersten Fixpunkt meines Nachdenkens über unsere kommunale und regionale Verantwortung festhalten. Dies betrifft übrigens auch die Menschen in den Alters- und Pflegeheimen und ihr Recht auf Gehör und Aufmerksamkeit. Seine Durchsetzung liegt in der Verantwortung jener, die das Recht auf die öffentliche Rede innehaben oder verwalten.

Lassen Sie mich aber exemplarisch noch zwei konkrete Beispiele nennen, wie wir - neben den wichtigen Einrichtungen von Stadtteilzentren, von Erzählcafés oder von Wohnheimen, die sich in ihren Stadtteil hinein öffnen - auch in unserer Funktion als Legislative und als lokale Repräsentanten dieses Recht auf Erinnerung in unseren Gemeinden und Regionen implementieren können.

Am 14. Juli 2007 übergaben ehemaligen KZ-Häftlinge aus 22 Nationen dem Weimarer Stadtrat in einem feierlichen Akt ihr « Vermächtnis Buchenwald ». Dieser hatte seine Annahme zuvor einstimmig beschlossen. Die Stadt verpflichtete sich darin gegenüber den Überlebenden, „dass wir nie über die Verbrechen der Nationalsozialisten schweigen und nationalsozialistisches Gedankengut, Rassismus und Antisemitismus immer mit aller Kraft bekämpfen werden.“. Zwei Jahre später, am Tag der deutschen Einheit, dem 3. Oktober 2009, bestärkte der Weimarer Stadtrat diesen Beschluss, indem er dem Präsidenten des Internationalen Komitees Buchenwald-Dora und Kommandos Bertrand Herz  « stellvertretend für alle ehemaligen Häftlinge » das Ehrenbürgerrecht verlieh. Mehr als nur symbolische Zeichen, bedeuteten diese beiden Stadtratsbeschlüsse eine dauerhafte Selbstverpflichtung der Stadt Weimar, die ihre Beziehung zur eigenen Geschichte, Gegenwart und Zukunft damit grundlegend verändert. Diese Macht legislativen Handelns auf dem Feld der Repräsentation sollten wir nicht unterschätzen. Für das demokratische Selbstwertgefühl der Menschen in einer Region, für ihr Selbstverständnis als Bürger eines humanen Gemeinwesens bleibt sie von fundamentaler Bedeutung.

Der Blick in den Außenspiegel der Repräsentation ist grundlegend für die Selbstwahrnehmung eines Gemeinwesens. Diese Erfahrung machen wir nicht zuletzt mit unserem renommierten Weimarer Menschenrechtspreis, den der Weimarer Stadtrat jährlich Einzelpersönlichkeiten in aller Welt dafür verleihen, dass sie unter Einsatz ihres eigenen Lebens die Rechte ihrer Mitmenschen verteidigen. Das internationale Renommé dieses Preises ist übrigens der engen Zusammenarbeit mit dem Menschenrechts-Beauaftragten der Bundesregierung zu verdanken. Hier haben wir die sehr positive Erfahrungen mit einer unbürokratischen Vernetzung von lokalen mit förderalen und nationalen Gremien machen können : Die Verleihung eines internationalen Menschenrechtspreises durch eine deutsche Kleinstadt kann zu einer win-win-Situation auf allen Ebenen führen - nicht zuletzt für die dieser Art unterstützten Preisträger.

Möglich ist dies natürlich nur, wenn auch auf lokaler Ebene die personellen Voraussetzungen dafür geschaffen sind. Ohne eine Ausländerbeauftragte - die nicht zu den Pflichtaufgaben einer europäischen Kommune gehören - wäre diese Arbeit faktisch unmöglich.

Sie sehen, meine Damen und Herren, komplementär zu meinen beiden Vorrednern habe ich mich bemüht, aus der Weimarer Perspektive die Rolle repräsentativen und kommunikativen Handelns für ein humanes Gemeinwesen stark zu machen. Gesetzgerisches Handeln spielt bei Fragen der Implementierung der Menschenrechte vor Ort hier manchmal nur eine zweitrangige Rolle.

Leer laufen aber werden alle diese repräsentativen und freiwilligen Leistungen zur Implementierung der Menschenrechte in den Kommunen gleichwohl, wenn die sozialen Hausaufgaben nicht gemacht  sind. Diese bestehen in der täglichen Herausforderung, die vermeintlich « Überflüssigen » in unserem Gemeinwesen zu reintegrieren.  Neben dem Menschenrecht auf ein eigenes Schicksal, das uns die Nazizeit gelehrt hat, gehört dieses Recht, als Anderer in seinem Gewolltsein wahrgenommen zu werden, zu jenen christlich fundierten Menschenrechten, für die wir in Europa – gerade als Autoritäten vor Ort – eine besondere Sensibilität entwickeln sollten.

Hier kann ich nur Mut machen, die vorhandenen europäischen und nationalen Fördermöglichkeiten zu nutzen und immer wieder neu geschickt mit einander zu verbinden. Gerade eine Kombination von europäischen, nationalen, regionalen und lokalen Maßnahmen kann zu den von uns gewünschten Erfolgen führen - eine Arbeit, die übrigens höchste Professionalität erfordert. Ein Beispiel : Mit einer konsequenten Nutzung des durch EFRE-Mittel ergänzten Bundes-Programms der « Sozialen Stadt » ist es uns in Weimar inzwischen beispielhaft gelungen, eine Ausgrenzung unserer Plattenbausiedlungen und vor allem ihrer Bewohner( !) zu verhindern. Unterstützen könne wir diese langfristigen und nachhaltigen Projekte, die aus verschiedenen Förderprogrammen rund um das Bundesprogramm der « Sozialen Stadt » gestrickt sind, indem wir sie vor Ort zudem durch lokale und regionale Maßnahmen pilotieren. Ich nenne als Beispiel das lokale Sozialticket im öffentlichen Nahverkehr - als Angebot für unsere Arbeitslosen, die  in den Außenbezirken wohnen – das wir künftig im Verkehrsverbund Mittelthüringen einheitlich für die ganze Region einführen werden. Ziel ist, das fundamentale Menschenrecht auf Mobilität und freien Zugang zum Arbeits- und Bildungsmarkt durch Infrastrukturmaßnahmen vor Ort zu unterstützen. Lassen wir es - ganz im Sinne der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 - nicht zu, dass Menschen  für überflüssig erklärt werden ! Volle Teilhabe-Möglichkeit am gesellschaftlichen Prozess gehört noch immer zu den wichtigsten Bürgerrechten, ja, zu ihren Voraussetzungen : Dies aber bedeutet, dass die Menschen nicht durch die Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr von den beruflichen, sozialen oder kulturellen Angeboten in den Städten und Stadtzentren abgekoppelt werden. Durch regionale Kooperationen läßt sich hier viel erreichen.

Meine Damen und Herren,

viel läßt sich in politischen und legislativen Prozessen zur Durchsetzung der Menschenrechte vor Ort auf den Weg bringen. Mit den infrastrukturellen Maßnahmen, die eine soziale Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger befördern, habe ich dafür ein komplexes  Beispiel gegeben, das mir am Herzen liegt.

Andere Maßnahmen hingegen bedürfen eher einer guten informellen Vernetzung von Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung - als ein Humus, ohne den die Menschenrechte totes Papier bleiben. Das spontane Abhängen-Lassen von Wahlplakaten rassistischen Inhalts oder die Sitzblockade rechtsextremer Aufmärsche durch kommunale Autoritäten - Stadträte und Wahlbeamte - können in diesen Zusammenhang gehören … selbst als eine kurzzeitige Überschreitung der üblichen legalen Handlungsmöglichkeiten eines Oberbürgermeisters. Möglich sind deratige symbolische Akte nur - im Ausnahmfall - wenn dafür zuvor ein lokaler Grundkonsens geschaffen wurde. Ich plädiere hier also dafür, beim Thema der Verteidigung der Menschenrechte vor Ort auch den Faktor der Zivilcourage in das Handlungsspektrum eines gewählten Volksvertreters mit aufzunehmen. Wo, wenn nicht in den Gemeinden und Regionen - vor Ort.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.