Nichtamtliche Übersetzung aus dem Englischen

Straßburg, 9. November 2011

CCJE(2011)2 endgültig

BEIRAT EUROPÄISCHER RICHTERINNEN UND RICHTER

(CCJE-GT)

                                                                                                                      

Stellungnahme Nr.(2011)14 des CCJE

„Justiz und Informationstechnologie (IT)“

angenommen vom CCJE in seiner 12. Plenarsitzung

(Straßburg, 7. – 9. November 2011)

                                                                                            


A.                   Einleitung

1.        Im Jahr 2011 wurde der Beirat europäischer Richterinnen und Richter (CCJE) mit der Abgabe einer Stellungnahme für das Ministerkomitee über die Einrichtung papierloser Verfahren in der Justiz beauftragt. Der CCJE kam in seinen Beratungen zu dem Ergebnis, dass das vorgesehene Thema dieser Stellungnahme durch den Titel „Justiz und Informationstechnologie“ in einer besser verständlichen und leichter erkennbaren Form wiedergegeben wird als durch den bisherigen Titel. Es wurde daher für diese Stellungnahme dieser neue Titel gewählt.

2.        Grundlage für die Erarbeitung der Stellungnahme bildeten frühere Stellungnahmen des CCJE und die Magna Charta der Richter sowie Antworten von Mitgliedstaaten auf einen Fragenkatalog des CCJE über die Einrichtung papierloser Verfahren in der Justiz und ein Vorabbericht der Sachverständigen Dory Reiling (Niederlande).

3.       Berücksichtigt hat der CCJE bei der Erarbeitung dieser Stellungnahme auch einschlägige Rechtsinstrumente des Europarats, vor allem das Übereinkommen von 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten sowie den Bericht „Europäische Justizsysteme“ (Auflage 2010) der Europäischen Kommission für die Wirksamkeit der Justiz (CEPEJ) (insbesondere Kapitel 5.3 über Informations- und Kommunikationstechnologien bei den Gerichten). Andere internationale Rechtsinstrumente wie die EU-Strategie für die europäische Justiz und die Datenschutzrichtlinie der EU – Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr – haben ebenfalls Berücksichtigung gefunden.

B.                   Gegenstand der Stellungnahme und allgemeine Grundsätze

4.        Diese Stellungnahme befasst sich mit dem Einsatz moderner Informations- und Kommunikationstechnologie (IT) im Gerichtswesen. Im Mittelpunkt stehen dabei die Möglichkeiten, welche die IT für die Gerichte und das Gerichtsverfahren bietet, sowie die damit verbundenen Folgen. Behandelt werden insbesondere Fragen wie Zugang zur Justiz, Rechtsstaatlichkeit, Unabhängigkeit der Richter und der Justiz, Funktionsweise der Gerichte und Rechte und Pflichten der Parteien. Es geht in dieser Stellungnahme nicht primär um die technischen Aspekte der IT.

5.        Die IT sollte ein Instrument oder Mittel sein, um die Rechtspflege zu verbessern, den Zugang der Rechtsuchenden zu den Gerichten zu erleichtern und die in Artikel 6 EMRK verankerten Garantien – Zugang zur Justiz, Unparteilichkeit, Unabhängigkeit des Richters, faires Verfahren und angemessene Verfahrensdauer – zu stärken.

6.        Mit der Einführung der IT im Gerichtswesen in Europa sollten aber bei den menschlichen und den symbolischen Aspekten der Justiz keine Abstriche gemacht werden[1]. Wird die Justiz von den Rechtsuchenden als etwas rein Technisches wahrgenommen, losgelöst von ihrer wirklichen und grundlegenden Funktion, so läuft sie Gefahr, den Bezug zu den Menschen zu verlieren. Justiz ist menschlich und sollte es bleiben, denn sie befasst sich in erster Linie mit den Menschen und ihren Streitigkeiten. Am deutlichsten wird dies, wenn es um die Bewertung des Verhaltens der streitenden Parteien und ihrer Zeugen geht; diese Aufgabe wird in einem Gericht von dem Richter wahrgenommen, der die Sache verhandelt.

7.        Die Magna Charta der Richter überträgt den Richtern eine Mitverantwortung für den Zugang zu einer raschen, wirksamen und kostengünstigen Streitbeilegung. Richter müssen deutlich machen, worin die Vor- und Nachteile der IT bestehen, und mögliche Risiken für die geordnete Rechtspflege benennen und ausschließen. IT darf die Verfahrensrechte der Parteien nicht beschneiden. Richter müssen sich dieser Risiken bewusst sein, denn es liegt in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Rechte der Parteien geschützt werden.

8.        Richter sind an der IT-Folgenabschätzung zu beteiligen, insbesondere wenn vorgeschrieben oder entschieden werden kann, dass Urkundensachen oder -prozesse auf elektronischem Weg durchzuführen sind. IT darf Richter nicht an der unabhängigen und unparteilichen Rechtsanwendung hindern.

9.        Nicht jeder hat Zugang zur IT. Traditionelle Möglichkeiten des Zugangs zu Informationen sollten zunächst nicht aufgegeben werden. Auskunfts- und sonstige Beratungsstellen bei den Gerichten sollten nicht mit der irrigen Begründung abgeschafft werden, dass IT die Justiz „für alle zugänglich“ gemacht habe.Dieser Punkt ist besonders wichtig im Hinblick auf den Schutz schutzbedürftiger Personen.

10.     Der IT-Einsatz sollte Verfahrenssicherungen für Personen, die keinen Zugang zu neuen Technologien haben, nicht schmälern. Die Staaten müssen sicherstellen, dass Parteien ohne einen entsprechenden Zugang besondere Unterstützung in dieser Hinsicht erhalten.

11.     Im Hinblick auf die bedeutende Rolle, die der IT heute in der Rechtspflege zukommt, ist es besonders wichtig zu gewährleisten, dass Probleme im IT-Betrieb die Justiz nicht – auch nicht kurzzeitig – daran hindern, Entscheidungen zu treffen und angemessene prozessuale Maßnahmen anzuordnen. Bei Wartungsarbeiten am IT-System oder technischen Störfällen sollten stets angemessene Alternativen zur Verfügung stehen, damit es zu keinerlei Behinderung der Gerichtsarbeit kommt.

12.     Es sollte besonders darauf geachtet werden, dass bei Gesetzentwürfen vorab die sich aus ihnen ergebenden Folgen für die entsprechende IT-Bearbeitung der Rechtssachen abgeschätzt werden. Der CCJE empfiehlt, solche Gesetze erst dann in Kraft treten zu lassen, wenn die IT-Systeme an die neuen Anforderungen angepasst worden sind und das Gerichtspersonal eine entsprechende Schulung erhalten hat.

13.     Die IT-gestützte Behandlung von Gerichtsverfahren ist in der internationalen und europäischen justiziellen Zusammenarbeit besonders wichtig. Bereiche, in denen IT-Einrichtungen besonders zweckmäßig sein können, sind u. a. die Übermittlung von Rechtshilfeersuchen und sonstigen Ersuchen um justizielle Zusammenarbeit, die Zustellung gerichtlicher Schriftstücke in Mitgliedstaaten sowie die grenzüberschreitende Beweiserhebung (z. B. per Videokonferenz). Der CCJE empfiehlt den Mitgliedstaaten, Möglichkeiten des gegenseitigen Zugangs zu ihren jeweiligen nationalen IT-Systemen zu entwickeln und diese Systeme miteinander kompatibel zu machen. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass IT die Zusammenarbeit der Richter in den verschiedenen Ländern verbessert und kein Hindernis darstellt.

14.     Der CCJE begrüßt die von einigen Staaten in Aussicht genommenen Lösungen bei der Anwendung von EU-Verordnungen, mit denen ermöglicht werden soll, dass zivilrechtliche Ansprüche in dem einem Land von Personen mit Wohnsitz in einem anderen Land auf elektronischem Weg geltend gemacht sowie im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit Videokonferenzen durchgeführt werden können.

15.     Der Einsatz von IT verbessert den Zugang zur Justiz und erhöht ihre Wirksamkeit und Transparenz. Er erfordert aber auch erhebliche finanzielle Investitionen. Die Empfehlung des CCJE, den Zugang zur Justiz durch den Einsatz von IT zu verbessern, bedeutet daher zwangsläufig, dass die Staaten dem Justizsystem hierfür angemessene finanzielle Mittel zuweisen müssen.

16.     Beim Umgang mit Daten und Informationen, wie sie z. B. in Verfahrensregistern, Verfahrensakten zu den einzelnen Rechtssachen, Vorbereitungsnotizen und Entwürfen, Gerichtsentscheidungen und statistischen Angaben über die Evaluierung der justiziellen Verfahren und der Gerichtsverwaltung enthalten sind, muss ein angemessenes Datensicherheitsniveau gewährleistet sein. Innerhalb der Gerichte sollte der Zugang zu Informationen auf die Personen beschränkt sein, die diese Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen.

17.     Die Online-Verfügbarkeit bestimmter Gerichtsentscheidungen könnte in Anbetracht der Art der Streitigkeiten, die vor Gericht gebracht werden, das Recht des Einzelnen auf Privatsphäre gefährden und die Interessen von Unternehmen beeinträchtigen. Gerichte und Justizsysteme sollten daher sicherstellen, dass angemessene Maßnahmen zum Schutz der Daten nach Maßgabe der entsprechenden Gesetze getroffen werden.

18.     Der CCJE begrüßt die Entwicklung der IT als Instrument zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den Gerichten und den Medien, z. B. durch leichteren Zugang der Medien zu Gerichtsentscheidungen sowie Ankündigung bevorstehender Verhandlungen.

C.                   IT und Zugang zur Justiz

19.     Vollständige, sachlich richtige und aktuelle Informationen über das Verfahren sind ein grundlegender Aspekt des in Artikel 6 der Konvention (EMRK) garantierten Zugangs zur Justiz. Richter müssen daher sicherstellen, dass jedem Beteiligten an einem Gerichtsverfahren sachlich richtige Informationen zur Verfügung stehen. Hierzu sollten grundsätzlich auch Hinweise oder erforderliche Voraussetzungen für die Anrufung des Gerichts gehören. Diese Maßnahmen sind notwendig, um die erforderliche Waffengleichheit zu gewährleisten.

20.     Rechtspflege kann jedenfalls von den Rechtsuchenden nicht getrennt werden, und die IT-Entwicklung sollte nicht dazu dienen, die Abschaffung von Gerichten zu rechtfertigen.

21.     Die IT eröffnet neue Möglichkeiten, um Rechtsuchenden allgemeine Informationen über das Justizsystem, seine Tätigkeiten, die Rechtsprechung, die Verfahrenskosten, die alternative Streitbeilegung usw. zur Verfügung zu stellen. Der CCJE empfiehlt die umfassende Nutzung des Internets und sonstiger neuer Technologien durch das Justizsystem, um der Allgemeinheit die Informationen zur Verfügung zu stellen, die, wie der CCJE bereits in seiner Stellungnahme Nr. 6 (Rdnrn. 12 ff.) beschlossen hat, weit verbreitet werden sollten.

22.     IT ist ein wertvolles Instrument zur Unterstützung der Gerichte bei ihrer Arbeit. IT kann Gerichten auch bessere Möglichkeiten eröffnen, die Betroffenen ausführlich über Verfahren im Allgemeinen zu informieren. Der CCJE empfiehlt den Gerichten daher, benutzerfreundliche elektronische Informationsdienste einzuführen.

23.     IT ermöglicht es Rechtsuchenden, Gerichtsverfahren elektronisch einzuleiten (E-filing). Der CCJE spricht sich für die Weiterentwicklung dieser Praxis aus[2].

24.     Der CCJE ist der Meinung, dass die Justiz dafür sorgen sollte, dass Gerichtsentscheidungen, mindestens aber Grundsatzentscheidungen i) kostenfrei, ii) in leicht zugänglicher Form und iii) unter Beachtung des Schutzes personenbezogener Daten im Internet erhältlich sind. Der CCJE begrüßt Initiativen zur Einführung internationaler Identifikatoren für Gerichtsentscheidungen (wie z. B. den European Union Case Law Identifier - ECLI[3]), die den Zugang zu ausländischen Gerichtsentscheidungen verbessern werden.

D.                   IT im Gerichtsverfahren

25.     IT bietet Chancen für eine effizientere, transparentere und sicherere Fallbearbeitung.

26.     EDV ist für die Gerichte eine Hilfe bei der Rationalisierung der Aktenführung sowie bei der Registrierung und Weiterverfolgung der Rechtssachen. Damit wird es möglich, eine Vorgangsserie oder zusammengehörende Fälle unter sichereren Bedingungen zu bearbeiten, Vorlagen als Formulierungshilfen für Gerichtsentscheidungen und -beschlüsse zu entwickeln und multikriterielle Statistiken für jede Art von Rechtsstreitigkeit zu erstellen, die für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden können.

27.     EDV kann auch die Qualität der richterlichen Arbeit verbessern, z. B. durch Datenbanken mit Verlinkungen zu Gerichtsentscheidungen, Rechtsvorschriften, Ausarbeitungen zu gleichlautenden Rechtsfragen, juristischen Kommentaren zu früheren Gerichtsentscheidungen und durch andere Formen des Wissensaustauschs zwischen Richtern. Die fortschrittlichsten und umfassendsten Möglichkeiten dieser Art, die es auf dem Markt gibt, sollten Richtern kostenfrei zugänglich gemacht werden, denn sie müssen alle juristischen Informationsquellen überprüfen können, die auch anderen Akteuren im Gerichtsverfahren (Verteidigern, Sachverständigen usw.) zur Verfügung stehen. Entscheidungshilfen für Richter sind als eine zusätzliche Hilfe für die richterliche Entscheidungsfindung und zur Erleichterung der richterlichen Arbeit auszugestalten und anzusehen, nicht als eine Einschränkung.

28.     Der IT-Einsatz darf aber nicht die Verfahrenssicherungen schmälern (oder die Zusammensetzung des Gerichts berühren) und auf keinen Fall dazu führen, dass dem Rechtsuchenden das Recht auf eine kontradiktorische Verhandlung vor einem Richter, die Beibringung von Beweisstücken im Original, die Anhörung von Zeugen und Sachverständigen und die Vorlage aller von ihm als nützlich erachteten Unterlagen und Stellungnahmen genommen wird. Ferner Außerdem sollte der IT-Einsatz zwingend vorgeschriebene Anhörungen und die Erfüllung sonstiger gesetzlich vorgeschriebener wesentlicher Formalitäten nicht beeinträchtigen. Dem Richter muss auch jederzeit die Befugnis verbleiben, das Erscheinen der Parteien, die Beibringung von Schriftstücken im Original und die Vernehmung von Zeugen anzuordnen. Sicherheitsanforderungen dürfen diese Möglichkeiten nicht hindern.

29.     Der IT-Einsatz vereinfacht den Austausch von Schriftstücken. Die Parteien und ihre Vertreter können auf Informationen über Rechtssachen zugreifen, an denen sie vor Gericht beteiligt sind. Auf diese Weise können sie den Fortgang ihrer Sache durch Einsicht in die elektronische Fallgeschichte verfolgen.

30.     Videokonferenzen können Vernehmungen unter erhöhten Sicherheitsanforderungen oder die Fernvernehmung von Zeugen oder Sachverständigen erleichtern. Nachteilig könnte allerdings sein, dass für den Richter die Worte und Reaktionen einer Partei, eines Zeugen oder eines Sachverständigen weniger direkt und genau wahrzunehmen sind. Es ist besonders darauf zu achten, dass Videokonferenzen und die entsprechende Beweiserbringung die Garantien für die Verteidigung keinesfalls beeinträchtigen dürfen.

31.     Die Rolle der IT sollte darauf beschränkt bleiben, Verfahrensschritte auf dem Weg zu einer einzelfallbezogenen Entscheidung in der Sache selbst zu ersetzen und zu vereinfachen. Die Aufgabe des Richters bei der Beweiserhebung und der Beweiswürdigung in der Sache, bei der Bestimmung des anwendbaren Rechts und bei der Herbeiführung einer Entscheidung, die keinen anderen als den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterliegt, kann die IT nicht übernehmen.

E.           IT-Gestaltung

32.     Durch den Einsatz von IT sollte die Unabhängigkeit der Richter in jedem Stadium des Verfahrens gestärkt und nicht gefährdet werden. Da Richter bei der Sicherstellung ihrer persönlichen und institutionellen Unabhängigkeit und ihrer Unparteilichkeit eine wichtige Rolle spielen, müssen sie in Entscheidungen, die in diesen Bereichen Konsequenzen haben, eingebunden werden.

33.     Elektronischer Zugang zu Informationen kann zu einer größeren Autonomie der Richter bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben beitragen.

34.     Zu starke Abhängigkeit von der Technik und von denjenigen, die für sie zuständig sind, kann für die Rechtspflege eine Gefahr darstellen. Die Technik muss auf das justizielle Verfahren und alle Aspekte der richterlichen Arbeit abgestimmt sein. Richter sollten sich nicht allein aus Gründen der Effizienz nach den technischen Notwendigkeiten und den Vorgaben derjenigen richten müssen, die für die Technik zuständig sind. Die Technik muss auch an die Art und Komplexität der Rechtssachen angepasst werden.

35.     Der Nach Auffassung des CCJE sollten an Richter von welcher Seite auch immer keine Anweisungen, Vorlagen oder sonstigen Vorschläge in Bezug auf Form oder Inhalt von Entscheidungen mit der Begründung herangetragen werden, dass die Architektur der IT-Systeme, die in der Justiz zum Einsatz kommen sollen, dies erfordere; diese Architektur sollte vielmehr flexibel sein und an die Rechtsprechung und die Gerichtspraxis angepasst werden können.

36.     Ein Dialog zwischen den Entwicklern der Technik und den für das justizielle Verfahren Verantwortlichen ist zwingend erforderlich. Die Zuständigkeit für die IT-Gestaltung sollte beim Justizverwaltungsrat oder einer anderen vergleichbaren unabhängigen Stelle liegen. Unabhängig davon, welche Stelle für die IT-Gestaltung zuständig ist, muss sichergestellt sein, dass Richter an Entscheidungen im Bereich IT im weiteren Sinne aktiv beteiligt werden.

37.     Richter sollten flexibel entscheiden können, wie sie Rechtssachen bearbeiten und Schreibtischarbeit erledigen. Das IT-System für die Geschäftserledigung sollte diese Flexibilität nicht einschränken.

38.     Richter und Gerichtsbedienstete sind sowohl berechtigt als auch verpflichtet, an IT-Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen teilzunehmen, damit sie IT-Systeme vollumfänglich und sachgerecht nutzen können.

39.     IT kann ein wichtiges Werkzeug zur Stärkung der Transparenz und Objektivität bei der Geschäftsverteilung und zur Förderung der Geschäftserledigung sein. Bei der Evaluierung von Richtern und Gerichten kann sie eine Rolle spielen. Allerdings sollten mit IT-Systemen erfasste Daten nicht die alleinige Grundlage für eine Analyse der Arbeit eines einzelnen Richters bilden. Statistische Daten sollten vom Justizverwaltungsrat oder einer anderen vergleichbaren unabhängigen Stelle geprüft werden.[4]

40.     Die Steuerung und Entwicklung eines IT-Systems ist für jede Organisation eine Herausforderung. Für Justizsysteme ergibt sich daraus eine neue und anspruchsvolle Herausforderung im Bereich ihrer Verwaltungsstrukturen. IT-basierte Geschäftserledigung ist eine Chance, institutionelle Unabhängigkeit zu entwickeln.

41.     Bei der Finanzierung der IT-Systeme sollte zugrunde gelegt werden, dass die IT zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit der Gerichte, der Qualität der Rechtspflege und der Dienstleistungen für die Bürger beiträgt.

F.            Schlussfolgerungen - Empfehlungen

i.              Der CCJE begrüßt die IT als ein Mittel zur Verbesserung der Rechtspflege.

ii.             IT kann dazu beitragen, den Zugang zur Justiz, die Geschäftserledigung und die Evaluierung des Justizsystems zu verbessern.

iii.            IT spielt eine zentrale Rolle bei der Bereitstellung von Informationen für Richter, Anwälte und andere interessierte Kreise sowie die Allgemeinheit und die Medien.

iv.           IT muss an die Bedürfnisse von Richtern und anderen Anwendern angepasst werden; sie darf Verfahrensgarantien und -rechte wie z. B. das Recht auf ein faires Verfahren vor einem Richter niemals verletzen.

v.            Richter sollten an allen Entscheidungen über IT-Installationen und -Entwicklungen im Justizsystem beteiligt werden.

vi.           Den Bedürfnissen von Personen, die IT-Einrichtungen nicht nutzen können, muss Rechnung getragen werden.

vii.          Dem Richter muss jederzeit die Befugnis verbleiben, das Erscheinen der Parteien, die Beibringung von Schriftstücken im Original und die Vernehmung von Zeugen anzuordnen.

viii.         Der CCJE befürwortet den Einsatz von IT in jeder Hinsicht mit dem Ziel, die wichtige Rolle der Justiz bei der Sicherung der Rechtsstaatlichkeit (der Herrschaft des Rechts) in einem demokratischen Staat zu stärken.

ix.           IT sollte die Befugnisse des Richters und die in der Konvention verankerten Grundprinzipien nicht angreifen.



[1] Zu den Zusammenhängen zwischen Symbolik und Justiz und den Risiken der in modernen Demokratien zunehmenden Entritualisierung des justiziellen Verfahrens siehe A. Garapon, „Bien juger – Essai sur le rituel judiciaire” (Odile Jacob, Paris, 2001), mit einer umfassenden Bibliographie im Anhang.

[2] Siehe z. B. Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 vom 12. Dezember 2006 (zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens) und Verordnung (EG) Nr. 805/2004 vom 21. April 2004 (zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen).

[3] Siehe ABl. C127, 29.4.2011, S. 1: Schlussfolgerungen des Rates mit einem Aufruf zur Einführung des European Case Law Identifier (ECLI) und eines Mindestbestands von einheitlichen Metadaten für die Rechtsprechung.

[4] Siehe auch die Stellungnahmen des CCJE Nr. 1(2001) Rdnr. 9, Nr. 10(2007) und Nr. 11(2008).