Übersetzung aus dem Französischen

Straßburg, den 8. Dezember 2009

STELLUNGNAHME NR. 12 (2009)

DES BEIRATS DER EUROPÄISCHEN RICHTER (CCJE)

UND

STELLUNGNAHME NR. 4 (2009)

DES BEIRATS DER EUROPÄISCHEN STAATSANWÄLTE (CCPE)

an das Ministerkomitee

des Europarats

über

RICHTER UND STAATSANWÄLTE IN EINER DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT

Diese vom CCJE und CCPE gemeinsam angenommene Stellungnahme enthält:

§  eine als „Bordeaux-Erklärung“ bezeichnete Erklärung;

§  eine Erläuternde Note.


BORDEAUX-ERKLÄRUNG:

„RICHTER UND STAATSANWÄLTE IN EINER DEMOKRATISCHEN GESELLSCHAFT“[1]

In Anschluss an das Ersuchen des Ministerkomitees des Europarats, eine Stellungnahme zu den Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten abzugeben, sind der Beirat der Europäischen Richter (CCJE) und der Beirat der Europäischen Staatsanwälte (CCPE) wie folgt übereingekommen:

1.    Die Gesellschaft hat ein Interesse daran, die Rechtsstaatlichkeit durch eine faire, unparteiische und wirksame Justiz zu garantieren. Die Staatsanwälte und Richter haben in allen Stadien des Verfahrens sicherzustellen, dass die Rechte und Freiheiten des Einzelnen gewährleistet werden und die öffentliche Ordnung geschützt wird. Dies bedeutet, dass die Rechte der Beschuldigten und der Opfer uneingeschränkt zu beachten sind. Die Entscheidung des Staatsanwalts zur Einstellung des Verfahrens sollte einer gerichtlichen Überprüfung unterliegen. Eine Möglichkeit wäre, dem Opfer zu gestatten, das Gericht unmittelbar mit der Sache zu befassen.

2.    Eine faire Justiz verlangt die Achtung der Waffengleichheit zwischen der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung. Dabei sind ebenfalls die Unabhängigkeit des Gerichts, der Grundsatz der Gewaltenteilung sowie die bindende Kraft rechtskräftiger Entscheidungen zu beachten.

3.    Die unterschiedliche aber sich ergänzende Rolle von Richtern und Staatsanwälten stellt eine notwendige Garantie im Hinblick auf eine faire, unparteiische und wirksame Justiz dar. Richter und Staatsanwälte müssen bei der Ausübung ihres Amtes sowie  im Verhältnis zueinander unabhängig sein und auch so in Erscheinung treten.

4.    Der Justiz sind hinlängliche organisatorische, finanzielle, materielle und personelle Mittel zur Verfügung zu stellen.

5.    Die Rolle der Richter und gegebenenfalls der Geschworenen besteht darin, über die ihnen von der Staatsanwaltschaft ordnungsgemäß vorgelegten Rechtssachen ohne unzulässige Einflussnahme durch die Anklagebehörde, die Verteidigung oder von anderer Seite zu entscheiden.

6.    Die Rechtsanwendung und gegebenenfalls das im Ermessen der Staatsanwaltschaft stehende Opportunitätsprinizip, wonach diese über die Strafverfolgung im Vorverfahren entscheidet, verlangen, dass die Rechtsstellung der Staatsanwälte ähnlich wie diejenige der Richter auf höchster Ebene gesetzlich garantiert ist. Die Staatsanwälte müssen bei ihrer Entscheidungsfindung unabhängig sein und eigenständig handeln und ihre Funktionen in fairer, objektiver und unparteiischer Weise ausüben.

7.    Der CCJE und der CCPE nehmen auf die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention Bezug. Es handelt sich insbesondere um die Entscheidungen, in denen der Gerichtshof das Erfordernis bekräftigt hat, dass die mit richterlichen Aufgaben betrauten Amtsträger gegenüber der Exekutive und den Parteien unabhängig sind, was eine Unterordnung unter eine unabhängige übergeordnete Justizbehörde jedoch nicht ausschließt. Werden Staatsanwälte mit richterlichen Funktionen betraut, sollte dies auf die Fälle begrenzt sein, in denen mildere Sanktionen angedroht sind, nicht zusammen mit der Befugnis zur Strafverfolgung in derselben Sache erfolgen und das Recht des Beschuldigten auf eine Entscheidung in derselben Sache durch eine unabhängige und unparteiische, mit richterlichen Aufgaben betraute Behörde sollte nicht verletzt werden.

 

8.    Eine unabhängige Stellung der Staatsanwälte setzt einige Grunderfordernisse voraus, wobei insbesondere zu beachten ist:

-          dass die Staatsanwälte bei der Ausübung ihrer Funktionen keiner Einflussnahme oder Druckausübung von Stellen außerhalb der Staatsanwaltschaft ausgesetzt sein dürfen;

-          dass ihre Einstellung, ihre Laufbahn, die Sicherheit des Amtes einschließlich der Versetzung, die nur nach Maßgabe des Gesetzes erfolgen darf oder ihrer Zustimmung bedarf, sowie ihre Bezahlung gesetzlich geschützt sein müssen.

9.    In einem Rechtsstaat und im Falle einer hierarchisch gegliederten Staatsanwaltschaft ist die Wirksamkeit der Strafverfolgung bezogen auf die Staatsanwälte untrennbar mit dem Erfordernis transparenter Weisungen durch übergeordnete Behörden, Rechenschaftspflicht und Verantwortlichkeit verbunden. Die Weisungen an die Staatsanwälte haben schriftlich, unter Achtung des Gesetzes und gegebenenfalls in Einklang mit zuvor bekanntgegebenen Richtlinien und Kriterien zu erfolgen. Eine gesetzlich zulässige Überprüfung der Entscheidung eines Staatsanwalts, die Strafverfolgung zu betreiben oder das Verfahren einzustellen, muss unparteiisch und objektiv erfolgen. In allen Fällen sind die Interessen des Opfers zu berücksichtigen.

 

10. Für eine geordnete Rechtspflege ist es unerlässlich, dass gemeinsame Rechtsgrundsätze und ethische Werte von allen am Rechtsprozess beteiligten Fachleuten befolgt werden. Die Aus- und Weiterbildung einschließlich der Managementschulung stellt für Richter und Staatsanwälte ein Recht und eine Pflicht dar. Solche Maßnahmen sind auf unparteiischer Basis zu organisieren. Sie sind im Hinblick auf ihre Effektivität auch in regelmäßigen Abständen und in objektiver Weise zu evaluieren. Gegebenenfalls kann eine gemeinsame Ausbildung für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte zu Themen von Allgemeininteresse dazu beitragen, eine qualitativ absolut hochwertige Justiz zu schaffen.

11. Die Gesellschaft hat ebenfalls ein Interesse daran, den Medien zu ermöglichen, die Öffentlichkeit über die Arbeitsweise der Justiz zu informieren. Die zuständigen Behörden haben diese Informationen zu erteilen und dabei insbesondere die Unschuldsvermutung der Beschuldigten, das Recht auf ein faires Verfahren und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens aller Verfahrensbeteiligten zu beachten. Richter und Staatsanwälte sollten einen Kodex für gute Praxis erarbeiten oder Leitlinien aufstellen, in denen die jeweiligen Beziehungen zu den Medien geregelt sind.

12. Richter und Staatsanwälte spielen bei der internationalen justiziellen Zusammenarbeit eine Schlüsselrolle. Die Stärkung des gegenseitigen Vertrauens zwischen den zuständigen Behörden der einzelnen Staaten ist unerlässlich. In diesem Zusammenhang ist es zwingend, dass die von den Staatsanwälten im Wege der internationalen Zusammenarbeit eingeholten und in Gerichtsverfahren genutzten Informationen in Bezug auf Inhalt wie Herkunft transparent sind und sowohl den Richtern als auch allen Parteien zur Verfügung stehen, um einen wirksamen Schutz der Grundrechte und -freiheiten sicherzustellen.

13.  In den Mitgliedstaaten, in denen die Staatsanwaltschaft Aufgaben außerhalb der Strafrechtspflege wahrnimmt, gelten die genannten Grundsätze im Hinblick auf diese Aufgaben insgesamt.


ERLÄUTERNDE NOTE

I. EINLEITUNG

a.            Zweck der Stellungnahme

1.    Zu den wesentlichen Aufgaben einer auf Demokratie und Rechtsstaatlichkeit basierenden Gesellschaft zählt es, die uneingeschränkte Achtung der Grundfreiheiten und –rechte und der Gleichheit vor dem Gesetz sicherzustellen, und zwar insbesondere in Einklang mit der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (die EMRK) sowie der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (der Gerichtshof). Gleichzeitig ist es wichtig, Sicherheit und Gerechtigkeit in der Gesellschaft zu gewährleisten, indem wirksame Maßnahmen zur Ahndung kriminellen Verhaltens getroffen werden. Die Sicherheit innerhalb der Gesellschaft muss in einem demokratischen Staat ebenfalls durch den effektiven Vollzug der Sanktionen garantiert werden, mit denen kriminelles Verhalten geahndet wird (Erklärung, Ziffer 1).

2.    So ist es Aufgabe des Staates, ein Justizsystem zu schaffen und dessen Arbeitsweise sicherzustellen, das die Menschenrechte und Grundfreiheiten in vollem Umfang achtet und gleichzeitig wirksam ist. Zahlreiche Akteure nehmen an dieser Aufgabe teil, ob aus dem öffentlichen oder dem privaten Sektor (wie Rechtsanwälte), doch spielen die Richter und Staatsanwälte eine Schlüsselrolle, indem sie das Funktionieren der Justiz in unabhängiger und unparteiischer Weise gewährleisten.

3.    Der Beirat der Europäischen Richter (CCJE) und der Beirat der Europäischen Staatsanwälte (CCPE) haben sich in ihren früheren Stellungnahmen mit zahlreichen bedeutenden Aspekten befasst, die es ermöglichen, die Justiz wirksamer zu gestalten und dabei die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu berücksichtigen. Festzuhalten bleibt, dass es gemeinsames Ziel der Richter und Staatsanwälte einschließlich der Staatsanwälte mit Aufgaben außerhalb des Strafrechtsbereichs ist, eine faire, unparteiische und wirksame Justiz sicherzustellen. Neu an dieser Stellungnahme ist die Tatsache, dass sie von Richtern und Staatsanwälten als Vertreter ihrer nationalen Kollegen ausgearbeitet wurde und Grundsätze berührt, auf die sich die Richter und Staatsanwälte aufgrund ihrer praktischen Erfahrung geeinigt haben.

4.    Deshalb konzentriert sich der Text auf wesentliche Aspekte der beiden Aufgabenbereiche und behandelt insbesondere die folgenden Themen: die Unabhängigkeit, die Achtung der Grundrechte und -freiheiten, die Objektivität und Unparteilichkeit, das Berufsethos und die Standesregeln, die Aus- und Weiterbildung und das Verhältnis zu den Medien.

5.    Diese Stellungnahme ist im Rahmen der Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten und den anderen Fachleuten zu sehen, die in den einzelnen Stadien des gerichtlichen Verfahrens auftreten, wie Rechtsanwälte, Gerichtssachverständige, Urkundsbeamte, Gerichtsvollzieher oder Polizeibedienstete, so wie dies in dem vom Ministerkomitee am 7. Februar 2001 angenommenen Globalen Aktionsplan für Richter in Europa und in der Empfehlung Rec (2000) 19 über die Rolle der Staatsanwaltschaft im Strafjustizsystem, die am 6. Oktober 2000 vom Ministerkomitee angenommen worden ist, befürwortet wird.

b.            Unterschiedliche nationale Systeme

6.    In den Ländern des Europarats bestehen mehrere Justizsysteme nebeneinander:

i.      die „common law“ Systeme, in denen es eine scharfe Trennung zwischen Richtern und Staatsanwälten gibt und die Befugnis zur Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen mit den anderen Funktionen nicht verknüpft ist;

ii.     die kontinentalen Rechtssysteme mit Konstellationen, wonach Richter und Staatsanwälte entweder Teil des „corps judiciaire“ (Richter- und Staatsanwaltschaft) sind oder im Gegenteil diese Zugehörigkeit einzig den Richtern vorbehalten ist.

In diesen unterschiedlichen Systemen kann außerdem die Eigenständigkeit der Staatsanwaltschaft gegenüber der Exekutive umfassend oder eingeschränkt sein.

7.    Ziel dieser Stellungnahme ist es, im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs und unter Berücksichtigung der Gemeinsamkeiten wie der Unterschiede anwendbare Prinzipien und Ansätzen herauszufiltern.

8.    Eine wesentliche Voraussetzung für die richterliche Unparteilichkeit gegenüber den Verfahrensparteien stellt die Garantie der Ämtertrennung dar. Wie in der Stellungnahme Nr. 1 des CCJE über die Vorschriften betreffend die Unabhängigkeit und Unabsetzbarkeit von Richtern aufgeführt, stellt die Unparteilichkeit die wichtigste der grundlegenden Garantien dar, die die richterlichen Aufgaben kennzeichnen. Außerdem setzt sie voraus, dass der Staatsanwaltschaft die Beweislast obliegt und sie die Anklageschrift ausarbeitet, was eine der wesentlichsten Verfahrensgarantien im Hinblick auf die abschließende gerichtliche Entscheidung ist.

9.    Der Aufgabenbereich des Richters unterscheidet sich demnach in allen Rechtssystemen von dem der Staatsanwaltschaft. Gleichwohl sind ihre jeweiligen Aufgaben als komplementär zu werten. Es gibt keine hierarchischen Beziehungen zwischen dem Richter und dem Staatsanwalt (Erklärung, Ziffer 3).

10.Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ist eine unabdingbare logische Folge der Unabhängigkeit der Judikative. Der Staatsanwalt kann, wenn er die Menschenrechte – von Beschuldigten, Angeklagten wie Opfern – geltend macht und diese verteidigt, seine Rolle am besten ausfüllen, wenn er Entscheidungen unabhängig von den Organen der Exekutive und Legislative trifft und Richter wie Staatsanwälte ihre jeweiligen Aufgaben ordnungsgemäß erfüllen. In den Demokratien auf rechtsstaatlicher Grundlage stellt nämlich das Recht die Basis für staatsanwaltliches Handeln dar (Erklärung, Ziffer 3).

c.            Besonderheiten des Amtes

11.Staatsanwälte und Richter müssen ihr Amt in fairer, unparteiischer, objektiver und kohärenter Weise ausüben, die Menschenrechte achten und sich um deren Schutz bemühen und sicherstellen, dass das Rechtssystem zügig und wirksam funktioniert. 

12.Unabhängig davon, ob die Staatsanwälte sich auf ein System stützen, das die Strafverfolgung in ihr Ermessen stellt (Opportunitätsprinzip), oder auf ein System der Strafverfolgung von Amts wegen (Legalitätsprinzip), handeln diese nicht nur im Namen der Gesamtgesellschaft, sondern sind auch gegenüber bestimmten Einzelpersonen verpflichtet, insbesondere den Angeklagten, denen Fairness gebührt, und den Opfern, denen Gerechtigkeit widerfahren muss. So gesehen und unbeschadet der Achtung der Waffengleichheit sind die Staatsanwälte nicht mit den anderen Parteien zu vergleichen (Erklärung, Ziffer 2). Die Staatsanwälte müssen auch den Standpunkt und die Anliegen der Opfer gebührend berücksichtigen und Maßnahmen treffen oder fördern, um sicherzustellen, dass diese über ihre Rechte und den Verfahrensverlauf unterrichtet werden. Kommt eine anhand der verfügbaren Beweise geführte unparteiische Ermittlung zu dem Ergebnis, dass die Beschuldigung unbegründet ist, darf der Staatsanwalt die Strafverfolgung nicht einleiten oder fortführen.

d.            Bestehende internationale Normen

13.Mehrere Texte des Europarats sowie die Rechtsprechung des Gerichtshofs behandeln unmittelbar oder implizit die Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten.

 

14.Zunächst behält der Gerichtshof den Richtern als Garanten der Rechte und Freiheiten bestimmte Aufgaben vor - siehe insbesondere die Artikel 5 (Recht auf Freiheit und Sicherheit) und Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren) - ; dies gilt aber auch für die Staatsanwälte (über Artikel 5 Absatz 1 Buchstabe a) und Absatz 3 und Artikel 6).

15.Der Gerichtshof, dessen Aufgabe unter anderem in der Auslegung der EMRK besteht, hat wiederholt Entscheidungen zu Fragen der institutionellen Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten sowie zu Verfahrensfragen in straf- und zivilrechtlichen Sachen getroffen.

16. So hat er sich im Einzelnen mit folgenden Fragen befasst: sukzessive Ausübung des Amtes als Staatsanwalt und Richter durch nur eine Person in derselben Sache (Urteil vom 1. Oktober 1982, Rechtssache Piersack ./. Belgien, Rdnrn. 30-32),  Erfordernis sicherzustellen, dass es keinen politischen Druck auf Gerichte und Strafverfolgungsbehörden gibt (Urteil vom 12. Februar 2008, Rechtssache Guja ./. Moldau, Rdnrn. 85-91), das Erfordernis, Richter und Staatsanwälte im Rahmen der freien Meinungsäußerung zu schützen (Urteil vom 8. Januar 2008, Rechtssache Saygili und andere ./. Türkei, Rdnrn. 34-40),  verfahrensrechtliche Verpflichtung der Gerichte und Dienststellen der Staatsanwaltschaft, Verletzungen der Menschenrechte zu untersuchen, zu verfolgen und zu ahnden (Urteil vom 15. Mai 2007, Rechtssache Ramsahai und andere ./. Niederlande, Rdnrn. 321-357) und schließlich Beitrag der Strafverfolgungsbehörden zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung (Urteil vom 10. Juni 2008, Rechtssache Martins de Castro und Alves Correia de Castro ./. Portugal, Rdnrn. 51-66).

17.Was das Strafverfahren anbelangt, so hat der Gerichtshof die Rechtsstellung und die Befugnisse der Staatsanwaltschaft und die Erfordernisse nach Artikel 5 Absatz 3 EMRK geprüft (in Bezug auf Richter oder andere „gesetzlich zur Wahrnehmung richterlicher Aufgaben ermächtigte Amtsträger“) und zwar anhand diverser konkreter Fälle (siehe u.a. das Urteil vom 4. Dezember 1979, Rechtssache Schiesser ./. Schweiz, Rdnrn. 27-38, Rechtssache De Jong, Baljet und Van den Brink ./. Niederlande, Rdnrn. 49-50, Rechtssache Assenow und andere ./. Bulgarien, Rdnrn. 146-150, Rechtssache Niedbala ./. Polen, Rdnrn. 45-47, Rechtssache Pantea ./. Rumänien, Rdnrn. 232-243 und Urteil vom 10. Juli 2008, Rechtssache Medwedjew und andere ./. Frankreich, Rdnrn. 61, 67-69). Der Gerichtshof hat ebenfalls die Rechtsstellung, die Zuständigkeit und die Kontrollbefugnisse der Strafverfolgungsbehörden in Telefonüberwachungssachen (Urteil vom 26. April 2007, Rechtssache Dumitru Popescu ./. Rumänien, Rdnrn. 68-86) und die Frage der Anwesenheit der Staatsanwaltschaft bei den Beratungen der obersten Gerichte geprüft (Urteil vom 30. Oktober 1991, Rechtssache Borgers ./. Belgien, Rdnrn. 24-29, und Urteil vom 8. Juli 2003, Rechtssache Fontaine und Berlin ./. Frankreich, Rdnrn. 57-67).

18.Schließlich zeichnet sich der Gerichtshof außerhalb des Strafrechtsbereichs durch eine eindeutige und gefestigte Rechtsprechung zur „Theorie des äußeren Anscheins“ aus, wonach die Anwesenheit der Staatsanwaltschaft bei den Beratungen der Gerichte im Widerspruch zu Artikel 6 Absatz 1 EMRK steht (Urteil vom 20. Februar 1991, Rechtssache Lobo Machado ./. Portugal, Rdnrn. 28-32, und Urteil vom 12. April 2006, Rechtssache Martinie ./. Frankreich [GK], Rdnrn. 50-55).

19.Andere vom Europarat erstellte Texte:

-           In der Empfehlung Rec(94)12 des Ministerkomitees über die Unabhängigkeit, Effizienz und Rolle der Richter, die für alle Personen gilt, die richterliche Aufgaben wahrnehmen, werden die Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten anerkannt, zumindest in den Ländern, in denen die Staatsanwaltschaft den Status einer Justizbehörde in der Form hat, wie sie vom Gerichtshof verstanden wird;

-           Die Empfehlung Rec(2000)19 des Ministerkomitees über die Rolle der Staatsanwaltschaft in der Strafjustiz unterstreicht ausdrücklich die Beziehungen zwischen Richtern und Staatsanwälten und hebt gleichzeitig die wesentlichen allgemeinen Grundsätze hervor, um sicherzustellen, dass diese Beziehungen zur Erfüllung der richterlichen und staatsanwaltlichen Aufgaben beitragen. Die Empfehlung betont insbesondere die positive Verpflichtung der Staaten, „geeignete Maßnahmen zu treffen, damit die rechtliche Stellung, die Zuständigkeit und die verfahrensrechtliche Rolle der Mitglieder der Staatsanwaltschaft gesetzlich festgelegt wird, so dass kein legitimer Zweifel an der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit der Gerichte bestehen bleibt“.

-    Die Empfehlung Rec(87)18 des Ministerkomitees über die Vereinfachung der Strafjustiz enthält diverse Beispiele für Aufgaben, die vorher einzig den Richtern anvertraut waren und nunmehr der Staatsanwaltschaft übertragen sind (deren primärer Auftrag gleichwohl darin besteht, die Strafverfolgung einzuleiten und zu führen). Diese neuen Aufgaben schaffen zusätzliche Erfordernisse im Hinblick auf die organisatorische Struktur der Staatsanwaltschaft und die Auswahl der für die Wahrnehmung dieser Aufgaben geeigneten Personen.

II. RECHTSSTELLUNG DER RICHTER  UND STAATSANWÄLTE

a.            Garantien im Hinblick auf die interne und externe Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte; der Rechtsstaat als notwendige Voraussetzung für ihre Unabhängigkeit

20.Richter und Staatsanwälte müssen voneinander unabhängig sein und bei der Ausübung der jeweiligen Funktionen tatsächlich Unabhängigkeit genießen. Sie erfüllen innerhalb der Justiz und der Gesamtgesellschaft unterschiedliche Aufgaben. Es gibt demnach verschiedene Perspektiven im Hinblick auf die institutionelle und funktionelle Unabhängigkeit (Erklärung, Ziffer 3).

21.Die Judikative basiert auf dem Grundsatz der Unabhängigkeit gegenüber jeglicher Gewalt von Außen und darauf, dass es keine Anweisung irgendeiner Art und keine interne Hierarchie gibt. Ihre Rolle und gegebenenfalls die der Geschworenen besteht darin, über die Rechtssachen, mit denen sie von der Staatsanwaltschaft und den Parteien befasst wird, ordnungsgemäß zu entscheiden. Dies bedeutet, dass es keine unzulässige Einflussnahme durch die Staatsanwaltschaft oder die Verteidigung gibt (Erklärung, Ziffer 5). Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte müssen die Rolle der anderen Akteure respektieren.

22.Der wesentliche Grundsatz für die Unabhängigkeit der Richter ist in Artikel 6 EMRK niedergelegt und wird in den früheren Stellungnahmen des CCJE unterstrichen.

23.Das Amt des Richtens bringt die Verantwortung mit sich, Entscheidungen mit bindender Kraft für die Betroffenen zu treffen und Rechtsstreitigkeiten beizulegen, indem Recht gesprochen wird. Diese beiden Amtshandlungen sind den Gerichten vorbehalten, einer von den anderen Staatsgewalten unabhängigen Justizbehörde.[2] Diese Funktion gehört generell nicht zum Aufgabengebiet des Staatsanwalts, der vielmehr dafür verantwortlich ist, die Strafverfolgung einzuleiten und zu führen.

24. Der CCJE und der CCPE nehmen auf die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 6 EMRK Bezug. Es handelt sich insbesondere um das Urteil Schiesser ./. Schweiz, in dem der Gerichtshof das Erfordernis bekräftigt hat, dass alle „mit der Wahrnehmung richterlicher Aufgaben betrauten Amtsträger“ gegenüber der Exekutive und den Parteien unabhängig sind, was eine Unterordnung unter eine unabhängige übergeordnete Justizbehörde jedoch nicht ausschließt (Erklärung, Ziffer 7).

25.In einigen Mitgliedstaaten ist die Staatsanwaltschaft befugt, in bestimmten Bereichen bindende Entscheidungen zu treffen, statt die Strafverfolgung zu betreiben, oder gewisse Interessen zu schützen. Der CCJE und der CCPE sind der Auffassung, dass die Übertragung richterlicher Aufgaben auf Staatsanwälte auf die Fälle begrenzt sein sollte, in denen mildere Sanktion angedroht sind, diese Funktionen nicht zusammen mit der Befugnis zur Strafverfolgung in derselben Sache ausgeübt werden sollten und das Recht des Beschuldigten auf eine Entscheidung in derselben Sache durch eine unabhängige und unparteiische mit richterlichen Aufgaben betrauten Behörde nicht verletzt werden sollte. Diese Übertragung sollte der Staatsanwaltschaft keinesfalls gestatten, endgültige Entscheidungen zu treffen, mit denen die Freiheit des Einzelnen beschränkt und freiheitsentziehende Maßnahmen getroffen werden, ohne die Möglichkeit, vor einem Richter oder Gericht einen Rechtsbehelf einzulegen. (Erklärung, Ziffer 7)

26.Die Staatsanwaltschaft ist eine unabhängige Instanz, die sich auf höchster Ebene auf das Gesetz stützen muss. In einem demokratischen Staat dürfen weder das Parlament noch irgendein Regierungsorgan versuchen, die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft in Einzelfällen in ungerechtfertigter Weise zu beeinflussen, um zu bestimmen, in welcher Weise die Strafverfolgung in diesen Fällen zu betreiben ist, oder die Staatsanwaltschaft nötigen, ihre Entscheidung zu revidieren (Erklärung, Ziffer 8 und 9).

27.Die Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft ist für die Erfüllung ihres Auftrags unerlässlich. Sie stärkt ihre Rolle im Rechtsstaat und in der Gesellschaft und stellt auch eine Garantie dafür dar, dass die Justiz unparteiisch und wirksam funktioniert und alle Vorteile der richterlichen Unabhängigkeit zum Tragen kommen (Erklärung, Ziffer 3 und 8). Ähnlich wie die den Richtern zugesicherte Unabhängigkeit ist die staatsanwaltliche Unabhängigkeit kein Vorrecht oder Privileg, das im Interesse ihrer Angehörigen verliehen wird, sondern stellt vielmehr eine Garantie für eine faire, unparteiische und wirksame Justiz dar, die die öffentlichen und privaten Belange der Betroffenen schützt.

28.Der Auftrag des Staatsanwalts, der durch das Legalitäts- oder Opportunitätsprinzip gekennzeichnet ist, unterscheidet sich je nach dem System eines Staates entsprechend der Stellung der Staatsanwaltschaft in der institutionellen Landschaft und im Strafverfahren.

29. Unabhängig von ihrer Rechtsstellung muss die Staatsanwaltschaft bei der Wahrnehmung ihres gesetzlichen Auftrags auf strafrechtlicher wie nichtstrafrechtlicher Ebene eine umfassende funktionelle Unabhängigkeit genießen. Die Staatsanwaltschaft muss, ob hierarchisch gebunden oder nicht, klare und transparente Leitlinien zur Durchführung der Strafverfolgung aufstellen, damit ihre Angehörigen Rechenschaft ablegen können und um zu verhindern, dass in willkürlicher Weise oder ohne vernünftigen Grund ermittelt wird. (Erklärung, Ziffer 9)

30. Der CCJE und der CCPE verweisen in diesem Zusammenhang insbesondere auf die Empfehlung Rec(2000) 19, in der es heißt, dass die Staaten zur Förderung einer fairen, kohärenten und wirksamen Tätigkeit der Staatsanwaltschaft dafür sorgen sollten, dass Grundsätze und allgemeine Kriterien festgelegt werden, die bei staatsanwaltlichen Entscheidungen in Einzelfällen herangezogen werden.[3]

31.Die Weisungen an die Staatsanwälte haben unter Achtung des Gesetzes und gegebenenfalls in Einklang mit zuvor bekanntgegebenen Richtlinien und Kriterien schriftlich zu erfolgen (Erklärung, Ziffer 9).

32.Alle Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Strafverfolgung oder Nichtverfolgung müssen rechtlich gerechtfertigt sein.Eine gesetzlich zulässige Überprüfung der Entscheidung eines Staatsanwalts, die Strafverfolgung zu betreiben oder das Verfahren einzustellen, muss unparteiisch und objektiv erfolgen, entweder durch die Staatsanwaltschaft selbst oder eine unabhängige Justizbehörde. Die Belange des Opfers wie der anderen Betroffenen sind stets zu berücksichtigen (Erklärung, Ziffer 9).

33.Die gegenseitige Ergänzung der Funktionen von Richtern und Staatsanwälten bedeutet, dass beide sich bewusst sind, dass eine unparteiische Justiz Waffengleichheit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung verlangt, wobei die Staatsanwaltschaft bei ihren Ermittlungen stets ehrlich, objektiv und unparteiisch vorzugehen hat. Richter wie Staatsanwälte müssen jederzeit darauf bedacht sein, die Person des Beschuldigten, des Angeklagten und der Opfer sowie die Rechte der Verteidigung achten (Erklärung, Ziffer 2 und 6).

34. Die richterliche und staatsanwaltliche Unabhängigkeit sind untrennbar mit der Rechtsstaatlichkeit verbunden.  Richter und Staatsanwälte handeln im Allgemeininteresse, im Namen der Gesellschaft und der Bürger, deren Anliegen es ist, dass ihre Rechte und Freiheiten unter allen Gesichtspunkten garantiert werden. Sie werden in Bereichen tätig, in denen die besonders sensiblen Menschenrechte (Freiheit des Einzelnen, Privatleben, Schutz des Eigentums usw.) in höchstem Maße schutzwürdig sind. So hat die Staatsanwaltschaft sicherzustellen, dass Beweiserhebung und Strafverfolgung nach Maßgabe des Gesetzes erfolgen. Dabei hat sie die in der EMRK und in den anderen internationalen Übereinkünften niedergelegten Grundsätze zu beachten, insbesondere die Unschuldsvermutung, die Rechte der Verteidigung und das Recht auf ein faires Verfahren. Die Richter müssen dafür Sorge tragen, dass diese Grundsätze in den ihnen unterbreiteten Verfahren befolgt werden.

35.Obwohl es dem Staatsanwalt freisteht, das Gericht mit den gesetzlich festgelegten Handlungen und Anträgen zu befassen und ihm alle sachlichen wie rechtlichen Elemente zu deren Unterstützung vorzulegen, darf er sich in den richterlichen Prozess der Entscheidungsfindung nicht wahllos einmischen und muss die Entscheidungen der Gerichte respektieren. Er kann sich der Vollstreckung dieser Entscheidungen nicht widersetzen, es sei denn, er legt die gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfe ein (Erklärung, Ziffer 4 und 5).

36.Die Tätigkeit und das Verhalten von Staatsanwälten und Richtern dürfen keinen Zweifel an ihrer objektiven Unparteilichkeit aufkommen lassen. Richter und Staatsanwälte müssen bei der Ausübung ihres Amtes sowie im Verhältnis zueinander unabhängig sein und auch so in Erscheinung treten. Aus Sicht der Rechtsuchenden und der Gesellschaft insgesamt darf nicht der Hauch eines stillschweigenden Einverständnisses zwischen den beiden oder eine Verknüpfung der beiden Funktionen merklich sein.

37. Die Beachtung der vorgenannten Grundsätze setzt voraus, dass die Rechtsstellung der Staatsanwälte ähnlich wie diejenige der Richter auf höchster Ebene gesetzlich garantiert ist. Der enge Zusammenhang und die gegenseitige Ergänzung der richterlichen und staatsanwaltlichen Aufgaben setzen ähnliche Erfordernisse und Garantien im Hinblick auf die Rechtsstellung und Arbeitsbedingungen voraus: dies gilt insbesondere für die Einstellung, die Aus- und Weiterbildung, die Laufbahn, das Disziplinarrecht, die Versetzung (die nur nach Maßgabe des Gesetzes oder mit ihrer Zustimmung erfolgen darf), die Bezahlung, die Beendigung des Amtes und das Recht, Berufsgenossenschaften zu bilden (Erklärung, Ziffer 8).

38.Nach der geltenden innerstaatlichen Ordnung müssen Richter und Staatsanwälte der Verwaltungsstruktur und dem Management ihrer jeweiligen Dienststellen unmittelbar angegliedert sein. Zu dem Zweck sind den Richtern und Staatsanwälten hinlängliche Haushaltsmittel sowie die Infrastruktur und die notwenigen menschlichen und materiellen Mittel zur Verfügung zu stellen, die unter ihrer Federführung zu verwenden und zu verwalten sind (Erklärung, Ziffer 4). 

b.            Ethik und Standesregeln der Richter und Staatsanwälte

39. Richter und Staatsanwälte müssen rechtschaffen sein und über die notwendigen beruflichen Qualifikationen und organisatorischen Fähigkeiten verfügen. Wegen der Art ihrer Funktionen, denen sie sich in Kenntnis der Sachlage verpflichtet haben, sind Richter und Staatsanwälte ständig der öffentlichen Kritik ausgesetzt und müssen sich demnach eine Pflicht zur Zurückhaltung auferlegen, unbeschadet ihres im Rahmen des Gesetzes verliehenen Rechts, über ihre Fälle zu berichten. Als Hauptakteure der Justiz müssen sie permanent die Würde und Ehre ihres Amtes wahren und sich so verhalten, wie es ihrem Amt gebührt [4](Erklärung, Ziffer 11).

40.Richter und Staatsanwälte müssen sich aller Vorgehens- und Verhaltensweisen enthalten, die das Vertrauen in ihre Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gefährden könnten. Sie müssen die ihnen vorgelegten Fälle sorgfältig und innerhalb einer angemessenen Frist in objektiver und unparteiischer Weise behandeln.

41.Die Staatsanwälte müssen sich aller öffentlichen Erklärungen oder Kommentare enthalten, wodurch sie den Eindruck erwecken könnten, sie würden unmittelbar oder mittelbar Druck auf das Gericht ausüben, damit dieses eine bestimmte Entscheidung trifft, oder wodurch der faire Charakter des Verfahrens beeinträchtigt würde.

42. Richter und Staatsanwälte sollten sich mit den Ethikvorschriften des jeweils anderen Amtes vertraut machen. Dies könnte das Verständnis und die Achtung im Hinblick auf den jeweiligen Auftrag verbessern und somit die Chancen für eine harmonische Zusammenarbeit vergrößern.

c.            Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten

43. Ein Höchstmaß an beruflicher Kompetenz stellt eine unerlässliche Vorbedingung für das Vertrauen dar, das die Öffentlichkeit Richtern wie Staatsanwälten entgegenbringt und worauf diese ihre Legitimität und Rolle hauptsächlich gründen. Eine angemessene Berufsausbildung ist von grundlegender Bedeutung, weil sie es ermöglicht, ihre Arbeitsleistung zu verbessern und somit die Qualität der Justiz insgesamt zu verstärken (Erklärung, Ziffer 10).

44. Ziel der Aus- und Fortbildung von Richtern und Staatsanwälten ist es nicht nur, die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten zu erwerben, die für den Zugang zum Beruf verlangt werden, sondern auch die Weiterbildung während der Laufbahn ist wichtig. Sie umfasst die unterschiedlichsten Aspekte des Berufslebens einschließlich des Managements der Gerichte und Ermittlungsbehörden, wobei auch den Erfordernissen der Spezialisierung Rechnung zu tragen ist.  Im Interesse einer geordneten Rechtspflege ist die Weiterbildung, die erforderlich ist, um ein hohes Maß an fachlicher Qualifikation aufrechtzuerhalten und diese zu vervollständigen, für jeden Richter und Staatsanwalt nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht (Erklärung, Ziffer 10).

45. Gegebenenfalls kann eine gemeinsame Ausbildung für Richter, Staatsanwälte und Rechtsanwälte zu Themen von allgemeinem Interesse dazu beitragen, eine qualitativ absolut hochwertige Justiz zu schaffen. Diese gemeinsame Ausbildung dürfte es ermöglichen, einen Grundstein  für eine gemeinsame Rechtskultur zu schaffen (Erklärung, Ziffer 10).

46. In den diversen europäischen Rechtsordnungen werden die Richter und Staatsanwälte nach unterschiedlichen Mustern ausgebildet. Einige Länder haben eine Akademie, eine nationale Hochschule oder andere spezialisierte Institute ins Leben gerufen. In anderen Ländern ist die Aus- und Fortbildung speziellen Stellen anvertraut. Für Richter und Staatsanwälte sollte eine internationale Ausbildung organisiert werden. Es ist jedenfalls von wesentlicher Bedeutung, auf die Eigenständigkeit der mit der Organisation der justiziellen Ausbildung betrauten Einrichtung zu achten, weil diese Eigenständigkeit als Garant des kulturellen Pluralismus und der Unabhängigkeit gilt.[5]

47. In diesem Zusammenhang ist der unmittelbare Beitrag der Richter und Staatsanwälte zu den Ausbildungslehrgängen von herausragender Bedeutung, weil er ihnen erlaubt, Standpunkte anhand der jeweiligen Berufserfahrung einzubringen. Unterrichtet werden sollten nicht nur Fächer zum Thema Recht und Schutz der Freiheiten des Einzelnen, sondern auch Managementpraktiken, wobei Überlegungen zu den jeweiligen Aufgabenbereichen von Richtern und Staatsanwälten einbezogen sein sollten. Gleichzeitig sind die Beiträge anderer Rechtskundiger und aus dem Hochschulbereich wesentlich, um der Gefahr eines engstirnigen Ansatzes zu begegnen. Schließlich sollten die Qualität und die Effektivität der Aus- und Fortbildung in regelmäßigen Abständen und in objektiver Weise evaluiert werden.

III.FUNKTION UND ROLLE DER RICHTER UND STAATSANWÄLTE IM STRAFVERFAHREN

a.         Rolle der Richter und Staatsanwälte im Vorverfahren

48.Während des Ermittlungsverfahrens prüft der Richter – eigenständig oder gelegentlich zusammen mit dem Staatsanwalt – die Rechtmäßigkeit der Ermittlungen, insbesondere wenn es um Grundrechte geht (Entscheidungen zur Festnahme, Inhaftnahme, Vermögenseinziehung, Einsatz spezieller Ermittlungstechniken).

49.Die Staatsanwaltschaft muss, wenn sie über die Einleitung oder Fortführung der Strafverfolgung entscheidet, im Allgemeinen sehr genau prüfen, ob die Ermittlungen rechtmäßig geführt und die Menschenrechte hierbei beachtet werden.

50.Ist die Polizei der Staatsanwaltschaft untergeordnet oder werden polizeiliche Ermittlungen von dieser geleitet oder überwacht, trifft der Staat nach der Empfehlung Rec(2000)19 die geeigneten Maßnahmen, um es der Staatsanwaltschaft zu ermöglichen, Anweisungen zu erteilen, die notwendigen Evaluierungen und Kontrollen vorzunehmen und Verstöße zu ahnden. Ist die Polizei von der Staatsanwaltschaft unabhängig, wird im Wortlaut nur vorgegeben, dass die Staaten wirksame Maßnahmen treffen, um zu ermöglichen, dass Staatsanwaltschaft und Polizei in angemessener und wirksamer Weise zusammenarbeiten.

51.Selbst in den Systemen, in denen das Ermittlungsverfahren vom Staatsanwalt überwacht wird und dessen Rechtsstellung ihn als Justizbehörde ausweist, ist es zwingend geboten, dass die in diesem Zusammenhang getroffenen Maßnahmen, die eine erhebliche Verletzung von Freiheiten darstellen, insbesondere die Untersuchungshaft, von Richtern oder Gerichten kontrolliert werden.

b.            Beziehung zwischen Richtern und Staatsanwälten während der Strafverfolgung und in der mündlichen Verhandlung

52.In einigen Staaten kann die Staatsanwaltschaft die Flut der Rechtssachen aufgrund ihres Ermessensspielraums steuern, der ihr gestattet zu entscheiden, welche Fälle an die Gerichte verwiesen und welche außergerichtlich beigelegt werden können (Schlichtung zwischen dem Angeklagten und dem Opfer, Beilegung im Vorverfahren mit Zustimmung der Parteien, vereinfachte und gekürzte Verfahren durch Schuldanerkenntnis, Alternativen zu Verfolgungshandlungen, Mediation), was dazu beiträgt, die Belastung der Justiz zu verringern und Prioritäten bei der Strafverfolgung zu setzen.

53.Diese Befugnisse der Staatsanwaltschaft, die ein Spiegelbild der Modernisierung, Sozialisation, Humanisierung und Rationalisierung auf dem Gebiet der Strafjustiz darstellen, sind nützlich, um die Überlastung der Gerichte zu reduzieren. Sobald jedoch die Staatsanwälte befugt sind, bestimmte Rechtssachen dem Gericht nicht vorzulegen, sind willkürliche Entscheidungen, Diskriminierung oder etwaiger unzulässiger politischer Druck unbedingt zu vermeiden und die Rechte der Opfer zu schützen. Ebenso besteht die Notwendigkeit, allen Betroffenen und insbesondere den Opfern zu gestatten, die Entscheidung des Staatsanwalts, von einer öffentlichen Klage abzusehen, anzufechten. Eine Möglichkeit wäre, dem Opfer zu gestatten, das Gericht unmittelbar mit der Sache zu befassen.

54.In den Ländern, in denen das Opportunitätsprinzip angewandt wird, muss die Staatsanwaltschaft folglich besonders sorgfältig vorgehen, wenn sie über die Strafverfolgung oder Nichtverfolgung entscheidet, und objektive Grundsätze oder Leitlinien beachten, welche die Kohärenz der Entscheidungen in Bezug auf Strafverfolgungshandlungen sicherstellen sollen.

55.Die Unparteilichkeit des Staatsanwalts während des Verfahrensablaufs muss sich wie folgt äußern: Er muss objektiv und fair vorgehen und insbesondere dafür sorgen, dass den Gerichten alle  zweckdienlichen Tatsachen und rechtlichen Aspekte , einschließlich der zur Entlastung des Angeklagten dienenden Beweise, zur Kenntnis gebracht werden; er muss die Situation des Beschuldigten und des Opfers gebührend berücksichtigen und prüfen, ob die Beweise in Anbetracht der Vorschriften über ein faires Verfahren in zulässiger Weise erlangt wurden und die Beweise zurückweisen, die durch Verletzung der Menschenrechte, wie Folter, erlangt wurden (Erklärung, Ziffer 6).

56.Hat eine unparteiische Untersuchung ergeben, dass die Beschuldigungen haltlos sind, darf der Staatsanwalt die Strafverfolgung nicht einleiten oder fortführen, sondern er muss das Verfahren beenden.

57.Generell üben die Richter und Staatsanwälte während des Verfahrens ihre jeweiligen Aufgaben aus, um einen fairen Ablauf des Strafverfahrens zu garantieren. Der Richter stellt sicher, dass die Beweiserhebung durch die Staatsanwaltschaft oder die Ermittlungsbehörden rechtmäßig erfolgt, und von der Strafverfolgung abgesehen wird, wenn die Beweise unzulänglich oder rechtswidrig sind. Die Staatsanwaltschaft ist ihrerseits berechtigt, gerichtliche Entscheidungen anzufechten.

c)         Die Ausübung der Rechte der Verteidigung in allen Stadien des Verfahrens

58.Die Richter müssen die strafverfahrensrechtlichen Vorschriften anwenden und dabei die Rechte der Verteidigung (indem sie den Angeklagten ermöglichen, ihre Rechte auszuüben, ihnen die Anklagepunkte zustellen usw.), die Rechte der Opfer im Verfahren, das Prinzip der Waffengleichheit und das Recht auf eine öffentliche Verhandlung in vollem Umfang beachten, so dass die Fairness des Verfahrens in allen Fällen gesichert ist [6](Erklärung, Ziffer 1, 2, 6 und 9).

59.Die Anklageschrift spielt in den Strafverfahren eine entscheidende Rolle: Ab der Zustellung der Anklageschrift wird der Beschuldigte in amtlicher Form und schriftlich über die rechtliche und faktische Grundlage der ihm zur Last gelegten Handlungen unterrichtet (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 19. Dezember 1989 in der Rechtssache Kamasinski ./. Österreich, Rdnr. 79). In Strafsachen beinhaltet das Erfordernis eines fairen Verfahrens nach Artikel 6 Absatz 1 EMRK für den Angeklagten die Möglichkeit, die Beweise bezüglich der Taten, die ihm zur Last gelegt werden und die der Anklage zugrunde liegen, wie auch die rechtliche Qualifizierung dieser Handlungen zu erörtern.

60.In den Ländern, in denen die Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren überwacht, obliegt es dem Staatsanwalt ebenfalls, die Beachtung der Rechte der Verteidigung sicherzustellen. In den Ländern, in denen die strafrechtliche Ermittlung von der Polizei oder einer anderen Vollstreckungsbehörde geführt wird, schreitet der Richter als Garant der Freiheiten des Einzelnen ein (habeas corpus), insbesondere bei der Untersuchungshaft, wobei er prüfen muss, ob die Rechte der Verteidigung befolgt werden.

61.In zahlreichen Staaten hingegen steht die Kontrolle der Ausübung der Rechte der Verteidigung dem Richter und dem Staatsanwalt erst dann zu, wenn das Ermittlungsverfahren abgeschlossen ist und die Würdigung der Anklage beginnt. Ab dem Zeitpunkt haben der Staatsanwalt, der die Protokolle von den Ermittlungsbehörden erhält, und danach der Richter, der die Anklage und die beigebrachten Beweise würdigt, zu prüfen, ob der Angeklagte im Einzelnen binnen kurzer Frist in einer ihm verständlichen Sprache und in allen Einzelheiten von der Art und dem Grund der gegen ihn erhobenen Anklage unterrichtet worden ist.

62.Staatsanwälte und Richter müssen danach, je nach der ihnen im jeweiligen Land zugedachten Rolle, insbesondere sicherstellen, dass der Angeklagte hinreichend Zeit und Gelegenheit zur Vorbereitung seiner Verteidigung hatte, bei Bedarf von einem Pflichtverteidiger auf Kosten des Staates verteidigt wird, erforderlichenfalls über einen Dolmetscher verfügt und die Vornahme bestimmter Handlungen verlangen kann, die für die Wahrheitsfindung erforderlich sind.

63.Nachdem die Sache vor dem erkennenden Gericht anhängig gemacht worden ist, variieren die Befugnisse der Richter und Staatsanwälte je nach der Rolle, die sie im Verfahren spielen. Sollte jedenfalls ein Aspekt der Achtung der Rechte der Verteidigung nicht berücksichtigt worden sein, müssen der Richter oder der Staatsanwalt oder beide nach der geltenden innerstaatlichen Ordnung befähigt sein, auf diese Situation hinzuweisen und in objektiver Form Abhilfe zu schaffen.

IV.DIE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN RICHTERN UND STAATSANWÄLTEN UND DIE ROLLE DER STAATSANWALTSCHAFT AUSSERHALB DER STRAFRECHTSPFLEGE UND VOR DEN OBERSTEN GERICHTEN

64.Je nach Mitgliedstaat kann der Staatsanwalt Aufgaben außerhalb der Strafrechtspflege wahrnehmen oder nicht.[7] Übt er solche Funktionen aus, können diese u.a. das Zivil-, Verwaltungs-, Handels-, Sozial-, Wahl- und Arbeitsrecht umfassen sowie den Umweltschutz, die sozialen Rechte schutzbedürftiger Gruppen wie Minderjährige, Behinderte und Personen mit geringem Einkommen. Seine Rolle in diesem Bereich sollte dem Staatsanwalt nicht gestatten, unzulässigen Einfluss auf den endgültigen Prozess der richterlichen Entscheidungsfindung zu nehmen (Erklärung, Ziffer 13).

65.Zu erwähnen ist auch die Rolle, die die Staatsanwaltschaft in einigen Ländern vor dem obersten Gerichtshof spielt. Diese Rolle ist mit derjenigen der Generalanwälte vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften vergleichbar. Vor diesen Gerichten gilt der Generalanwalt (oder sein Pendant) nicht als Partei und vertritt nicht den Staat, sondern ist ein unabhängiges Organ, das Anträge in allen Rechtssachen oder nur in solchen stellt, die von besonderem Interesse sind, um dem Gerichtshof Einblick in alle Aspekte der Rechtsfragen zu geben, die ihm zwecks ordnungsgemäßer Rechtsanwendung vorgelegt werden.

66.Entsprechend den rechtsstaatlichen Grundsätzen in einer demokratischen Gesellschaft müssen diese Zuständigkeiten der Staatsanwälte sowie alle Verfahren zwecks Ausübung dieser Zuständigkeiten gesetzlich genau festgelegt sein. Handelt ein Staatsanwalt außerhalb der Strafrechtspflege, muss er die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts beachten und die folgenden Grundsätze berücksichtigen, die insbesondere durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelt wurden:

            i.        Die Teilnahme der Staatsanwaltschaft an den Gerichtsverfahren darf die Unabhängigkeit der Gerichte nicht beeinträchtigen.

           ii.        Das Prinzip der Gewaltenteilung ist einerseits im Zusammenhang mit den Aufgaben und Tätigkeiten der Staatsanwälte außerhalb der Strafrechtspflege und andererseits der Rolle der Gerichte beim Schutz der Menschenrechte zu beachten.

          iii.        Unbeschadet ihrer Aufgabe als Vertreter der Gesellschaft müssen die Staatsanwälte dieselben Rechte genießen und denselben Verpflichtungen unterliegen wie alle anderen Parteien und dürfen im Verfahren keine bevorzugte Stellung einnehmen (Waffengleichheit).

         iv.        Handeln sie im Namen der Gesellschaft, um das öffentliche Interesse und die Rechte von Einzelpersonen zu verteidigen, dürfen die Staatsanwälte den Grundsatz der Rechtskraft (res iudicata) nicht verletzen; dies gilt vorbehaltlich der Ausnahmen, die in Einklang mit internationalen Maßnahmen und Verpflichtungen einschließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegt sind.

Die anderen in der Erklärung aufgeführten Grundsätze gelten sinngemäß für alle Funktionen der Staatsanwälte außerhalb der Strafrechtspflege (Erklärung, Ziffer 13).

V. RICHTER, STAATSANWALT UND MEDIEN (Erklärung, Ziffer 11)

67.Die Medien spielen in demokratischen Gesellschaften und insbesondere im Verhältnis zur Justiz eine wesentliche Rolle. Die Wahrnehmung der Qualität der Justiz in der Gesellschaft hängt sehr stark von der Art und Weise ab, wie die Medien über die Arbeitsweise der Justiz berichten. Die Öffentlichkeit der Verhandlungen trägt zur Fairness des Verfahrens bei, indem sie die Parteien vor mangelnder Transparenz der Justiz schützt.

68.Da die Öffentlichkeit und die Medien Straf- und Zivilverfahren immer mehr Aufmerksamkeit schenken, müssen die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden ihnen immer mehr objektive Informationen liefern.

69.Von grundlegender Bedeutung ist es, dass die Gerichte in einer demokratischen Gesellschaft bei den Rechtsuchenden Vertrauen erwecken.[8] Die Öffentlichkeit des Verfahrens ist ein wesentliches Mittel, um dieses Vertrauen zu wahren.

70.Zwei Instrumente des Europarats behandeln insbesondere diese Frage: (i) die Empfehlung Rec (2003)13 über die Verbreitung von Informationen durch die Medien im Zusammenhang mit Strafverfahren; (ii) Stellungnahme des CCJE Nr. 7 über Justiz und Gesellschaft (2005).

71.Angesichts des Rechts der Öffentlichkeit auf Informationen von allgemeinem Interesse muss es den Journalisten möglich sein, die notwendigen Informationen zu erhalten, um über die Arbeitsweise der Justiz zu berichten und diese zu kommentieren. Dieses Recht ist unbeschadet der Verpflichtung von Richtern und Staatsanwälten zur Zurückhaltung in Bezug auf anhängige Sachen und der nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften und der Rechtsprechung des Gerichtshofs vorgesehenen Einschränkungen auszuüben.

72.Die Medien müssen genauso wie Richter und Staatsanwälte bestimmte Grundprinzipien beachten, wie die Unschuldsvermutung[9] und das Recht auf ein faires Verfahren, das Recht auf Achtung des Privatlebens der Betroffenen wie auch das Erfordernis zu vermeiden, dass der Grundsatz und der äußere Anschein der Unparteilichkeit der an einer Sache beteiligten Richter und Staatsanwälte verletzt wird.

73.Die mediale Berichterstattung über laufende Ermittlungen oder anhängige Verfahren kann einen Eingriff darstellen und einen schädlichen Einfluss oder Druck auf die mit der Sache befassten Richter, Geschworenen und Staatsanwälte ausüben. Gute berufliche Fähigkeiten, gefestigte ethische Werte und eine gestärkte Selbstdisziplin zur Vermeidung einer voreiligen Beurteilung anhängiger Verfahren sind für Richter und Staatsanwälte notwendig, um dieser Herausforderung zu begegnen.

74.So könnten Personen, die für die Kommunikation mit den Medien zuständig sind, wie Verantwortliche für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit innerhalb der Gerichte oder ein Pool von Richtern und Staatsanwälten, der gebildet wird, um Kontakte zu den Medien zu unterhalten, diesen bei der Verbreitung von präziseren Informationen über die Tätigkeit und die Entscheidungen der Gerichte behilflich sein.

75. Richter und Staatsanwälte müssen gegenseitig ihre spezifische Rolle im Justizsystem respektieren. Richter und Staatsanwälte sollten Leitlinien aufstellen oder für jeden Berufsstand einen Verhaltenskodex für ihre Beziehungen zu den Medien ausarbeiten.[10]Einige Standesregeln verbieten es den Richtern, anhängige Sachen zu kommentieren, damit sie keine Erklärungen abgeben, die bei der Öffentlichkeit den Eindruck erwecken könnten, dass sie die richterliche Unparteilichkeit[11]und die Unschuldsvermutung in Frage stellen. Jedenfalls muss der Richter die eigene Meinung vor allen Dingen durch seine Entscheidung kund tun und für den Fall, dass er sich nach Maßgabe des Gesetzes zu anhängigen oder abgeschlossenen Fällen äußert, sind Diskretion und Wortwahl wichtig.[12] Der Staatsanwalt muss sich zum gerichtlichen Verfahren oder zur ergangenen Entscheidung zurückhaltend äußern und seine Missbilligung einer Entscheidung gegebenenfalls nur im Wege des Rechtsbehelfs ausdrücken.

V. RICHTER, STAATSANWALT UND INTERNATIONALE ZUSAMMENARBEIT (Erklärung, Ziffer 12)

76.Um die Menschenrechte und Grundfreiheiten wirksam zu schützen, ist zu betonen, dass eine wirksame internationale Zusammenarbeit erforderlich ist, insbesondere zwischen den Mitgliedstaaten des Europarats und auf der Grundlage der in den einschlägigen internationalen Instrumenten enthaltenen Werte, in besonderem Maße der EMRK. Die internationale Zusammenarbeit muss auf gegenseitigem Vertrauen basieren. Die im Wege der internationalen Zusammenarbeit eingeholten und in Gerichtsverfahren genutzten Informationen müssen in Bezug auf Inhalt wie Herkunft transparent sein und Richtern, Staatsanwälten und den Parteien zur Verfügung stehen. Es sollte sichergestellt werden, dass die internationale justizielle Zusammenarbeit einer Evaluierung unterzogen wird und in angemessener Form insbesondere die Rechte der Verteidigung und den Schutz personenbezogener Daten berücksichtigt.



[1] Dieser Erklärung ist eine Erläuternde Note beigefügt. Sie ist von den Arbeitsgruppen des CCJE und des CCPE gemeinsam in Bordeaux (Frankreich) ausgearbeitet und am 18. November 2009 in Brdo (Slowenien) vom CCJE und CCPE offiziell angenommen worden.

[2] Siehe insbesondere die Stellungnahme des CCJE Nr. 1 über die Vorschriften betreffend die Unabhängigkeit und die Unabsetzbarkeit von Richtern und die Empfehlung Rec(94)12 über die Unabhängigkeit, die Wirksamkeit und die Rolle der Richter.

[3] Siehe auch die Stellungnahme des CCPE Nr. 3 (2008) über die Rolle der Staatsanwaltschaft außerhalb der Strafrechtspflege.

[4] Siehe in Bezug auf die Richter z.B. die Stellungnahme des CCJE Nr. 3 (2002) Grundsätze und Vorschriften zum Berufsethos der Richter, insbesondere in Bezug auf die Standesregeln, das unvereinbare Verhalten und die Unparteilichkeit, sowie die Bangalore-Prinzipien über richterliches Verhalten (2002) (angenommen von der ECOSOC der Vereinten Nationen im Jahr 2006) sowie die Universelle Charta des Richters, angenommen von der Mitgliedervereinigung der International Association of Judges am 17. November 1999 in Taipeh (Taiwan). Was die Staatsanwälte anbelangt siehe die UN-Leitlinien über die Rolle der Staatsanwälte sowie die Europäischen Ethik- und Verhaltensleitlinien für Bedienstete der Staatsanwaltschaft (Budapester Leitlinien), angenommen von den Generalstaatsanwälten Europas bei ihrer Konferenz in Budapest am 31. Mai 2005.

[5] Siehe die Stellungnahme Nr. 4 (2003) des CCJE über die geeignete Aus- und Fortbildung für Richter auf nationaler und europäischer Ebene und die Stellungnahme Nr. 10 (2007) des CCJE über den Justizverwaltungsrat im Dienst der Gemeinschaft, Ziffern 65-72.

[6] Siehe die Stellungnahme des CCJE Nr. 8 (2006) über die Rolle der Richter beim Schutz der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte im Kontext des Terrorismus.

[7] Siehe auch die Stellungnahme des CCPE Nr. 3 über die Rolle der Staatsanwaltschaft außerhalb der Strafrechtspflege.

[8] Siehe z.B. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Olujić ./. Kroatien (Individualbeschwerde Nr. 22330/05)

[9] Siehe insbesondere den Grundsatz 1 im Anhang zur Empfehlung Rec(2003)13 nebst Begründung.

[10] Dies ist für Richter und Journalisten in der Stellungnahme des CCJE Nr. 7 über Justiz und Gesellschaft, Ziffer 39 (2005), vorgeschlagen worden.

[11] Siehe z.B. die Stellungnahme des CCJE Nr. 3 über das Standesrecht und die Verantwortlichkeit der Richter, Ziffer 40 (2003).

[12] Siehe z.B. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Daktaras ./. Litauen (Individualbeschwerde Nr. 42095/98) und Olujić ./. Kroatien (Individualbeschwerde Nr. 22330/05)